Bibelleseplan 11.10.2024: Richter 11

Nachdem Gott auf die Umkehr der Israeliten gnädig reagiert hat und entschlossen ist, sie zu retten (10,15–16), lernen wir nun den entsprechenden Richter für diese Aufgabe kennen. Aber auf den ersten Blick scheint er eine denkbar schlechte Wahl Gottes zu sein: Jeftah ist der Sohn einer kanaanäischen Prostituierten (gehört also gar nicht richtig zum Volk Gottes) und wurde von seinen Halbbrüdern verjagt; er hatte also eine schwere Kindheit mit einer dysfunktionalen Familie. Er zieht sich daraufhin ins nichtjüdische Ausland zurück und wird der Anführer einer Bande; er ist also eine Art Gangsterboss. Und ausgerechnet dieser Mann soll jetzt Israel retten? Er selbst kann es kaum glauben, dass gerade die Männer, die ihn früher vertrieben hatten, nun seine Hilfe wollen. Sein Dialog mit ihnen klingt erstaunlich ähnlich wie Gottes Gespräch mit den Israeliten in 10,10–16. Er geht dabei auf Nummer sicher und lässt sich zweimal versichern, dass sie ihn tatsächlich zum Herrscher machen, wenn er die Ammoniter besiegt.

Jeftah beginnt ganz gut und versucht, den Konflikt friedlich zu lösen. Seine Antwort an den König von Ammon zeigt Weisheit und klaren Verstand, auch wenn sie nicht den gewünschten Erfolg hat und es zum Kampf kommt. Jedoch bleibt von der Schilderung seines Sieges eigentlich nur Verwirrung und Entsetzen bestehen. Wie kann er so einen unbedachten Schwur aussprechen (V.30–31)? Und wie kann er ihn dann am Ende auch noch knallhart durchziehen (V.35–39)? Es ist verständlich, dass uns dieser Bericht verstört. Das sollte er auch. Was dort passiert, hat Gott niemals gewollt; er hat es sogar direkt verboten. Wie gehen wir mit dieser Passage um? Als Jeftah den Schwur aussprach, konnte er mit Sicherheit nicht nur an Tiere gedacht haben. Die Wahrscheinlichkeit, dass bei seinem Zurückkehren ein Mensch aus dem Haus ihm entgegenkommt, ist einfach viel zu hoch. Manche Kommentatoren sagen sogar, dass er explizit ein Menschenopfer im Sinn hatte.1z.B. Timothy Keller, Judges For You, Kindle Edition. Und was passierte dann am Ende mit seiner Tochter? Hat Jeftah sie tatsächlich getötet? Einige meinen, dass er sie einfach Gott weihte und sie deshalb ein Leben in Jungfräulichkeit verbringen musste.2z.B. William MacDonald, Kommentar zum Alten Testament, S. 268. Jedoch macht es für mich mehr Sinn, dass er sie tatsächlich als Brandopfer tötete. Wie auch immer man diese Fragen beantwortet, klar ist: Was Jeftah hier tat, war absolut falsch! In jedem Fall scheint er mit Gott verhandeln zu wollen: „Wenn du uns den Sieg gibst, dann werde ich im Gegenzug etwas für dich tun.“ Jeftah scheint kein Konzept für Gottes Gnade zu haben. Stattdessen versucht er, mit seinen eigenen Leistungen Gott auf seine Seite zu bringen. Die Größe seines Gelübdes soll seine Anerkennung Gott gegenüber zum Ausdruck bringen. „Die Tragödie ist, dass Gott bereits beschlossen hatte, sein sündiges Volk zu retten (10,16) und dafür Jeftah zu benutzen (11,29).“3Timothy Keller, Judges For You, Kindle Edition.

Am allererstaunlichsten bei alledem ist für mich jedoch die Aussage in V.29: „Da kam der Geist der HERRN über Jeftah.“ Der Heilige Geist erfüllt und befähigt ihn, Israel von den Ammonitern zu retten. Wie kann Jeftah vom Heiligen Geist erfüllt sein und gleichzeitig einen so unbedachten Schwur aussprechen und den sogar noch ausführen? Ganz ehrlich, ich weiß es nicht. Mir ist es auch ehrlich gesagt rätselhaft, wie er – ausgehend von dem, was wir im Buch Richter über Jeftah lesen – in Hebräer 11,32 bei den Glaubenshelden mit aufgezählt wird. Dieses Paradox macht mir aber deutlich: Es ist möglich, Gottes Geist zu haben und dennoch unglaublich dumme und abscheuliche Dinge zu tun. Das gilt genauso für uns. Und das sehen wir leider immer wieder in der christlichen Welt, wenn große Leiter, die jahrelang gut gedient und viele Menschen Jesus näher gebracht haben, in grobe Sünde fallen und aus ihrem Dienst ausscheiden. Auch wir können genauso schlimme Sünde tun, obwohl wir zu Jesus gehören. Das einzige, was uns davor bewahrt, ist letztendlich Gottes Gnade. Und es ist auch allein seine Gnade, dass er uns gebrauchen und mit uns sein Reich bauen will, obwohl wir immer wieder unglaublich dumme Dinge tun. Wie gut, dass Perfektion keine Voraussetzung für Rettung und Dienst bei Gott ist!

Gebet: Vater, manchmal bin ich wie Jeftah und denke, ich müsste mir deine Hilfe oder Anerkennung verdienen. Danke, dass du am Kreuz – bei dem einzigen notwendigen Menschenopfer – mir deine bedingungslose Liebe gezeigt hast. Danke, dass du mich mit allen meinen Fehlern und falschen Sichtweisen annimmst. Und bitte verändere mich durch deine Liebe und Annahme, sodass ich dich immer mehr liebe und dir gehorche. Amen.

Fußnoten

  • 1
    z.B. Timothy Keller, Judges For You, Kindle Edition.
  • 2
    z.B. William MacDonald, Kommentar zum Alten Testament, S. 268.
  • 3
    Timothy Keller, Judges For You, Kindle Edition.
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