Im letzten Kapitel des Richterbuches versucht das Volk Israel irgendwie den Schaden zu beheben, den sie selbst angerichtet haben. Wieder sehen wir, dass das Volk ohne König, der für Recht und Ordnung sorgt, nicht zurechtkommt.
Weil Israel keinen König hat und jeder tut, was recht ist in seinen Augen trifft es lauter dumme, kurzsichtige Entscheidungen, die alles nur noch schlimmer machen. Nachdem sie den Stamm Benjamin vernichtend geschlagen haben und nur 600 Männer entkommen konnten, versammelt sich das Volk wieder in Mizpa und trauern. Aber, anstatt dass sie sich fragen, warum sie denn so über die Stränge geschlagen und auch alle Frauen und Kinder getötet haben, beschweren sie sich bei Gott! „Warum hast du zugelassen, dass heute ein ganzer Stamm in Israel fehlt?“ Und es kommt immer schlimmer: Jetzt erfahren wir auch noch, dass sie einen feierlichen Schwur abgelegt haben, dass sie auf keinen Fall ihre Töchter mit Benjaminitern verheiraten dürfen. Die Entscheidung zum Krieg, die Entscheidung zur totalen Vernichtung des Stammes, die Entscheidung keine Heirat mit Benjaminitern zuzulassen – das alles waren ihre eigenen Entscheidungen! Niemand hatte sie dazu gezwungen. Gott hatte ihnen nichts davon befohlen. Aber bei ihm beschweren sie sich jetzt, wie er das denn zulassen konnte. Sprüche 19,3 ist dazu sehr passend: „Wer sich selbst für klug hält, läuft in die Irre, macht dann aber in seiner Wut den Herrn dafür verantwortlich.“
Aber selbst das ist noch nicht alles. Neben dem ersten dummen Schwur haben sich die Israeliten auch noch verpflichtet, jeden aus dem Volk umzubringen, der nicht an der Versammlung in Mizpa und am Kampf gegen Benjamin teilgenommen hatte. Dieser Umstand wird nun zur Hoffnung für Israel, den Stamm Benjamin irgendwie doch noch vor dem Aussterben zu bewahren. Also forschen sie nach und entdecken, dass niemand aus Jabesch anwesend ist. Also ziehen sie nach Jabesch, töten alle Einwohner der Stadt bis auf die Jungfrauen, die sie dann an die Benjaminiter weitergeben (V.10–14). Anstatt dass das Volk seine eigenen dummen und kurzsichtigen Entscheidungen anerkennt und dafür gerade steht, gehen sie konsequent ihren Weg weiter und sorgen damit für noch viel mehr Blutvergießen, Elend und Ungerechtigkeit. Israel sieht das Problem, in das sie sich selbst gebracht haben. Aber anstatt bei Gott nach Rat zu fragen, versuchen sie, mit ihrem eigenen Verstand ihr selbst verursachtes Problem zu lösen und generieren dadurch nur weitere Probleme.
Die Bilanz dieser Geschichte ist katastrophal: Weil eine Frau vergewaltigt und getötet wird, werden zwei Städte komplett ausgelöscht, ein Stamm nahezu vollständig eliminiert und 600 Frauen entführt und vergewaltigt!
Mir fällt es leicht, über die Dumm- und Verbohrtheit der Israeliten den Kopf zu schütteln. Aber sind wir denn so viel besser? Haben wir nicht (im Kleinen) oft das gleiche Problem wie sie? Ich denke zu wissen, was gut und gerade dran ist. Ich treffe meine eigenen Entscheidungen im Alltag, ohne Gott einzubeziehen. Aber wenn ich merke, dass ich mich damit in eine Sackgasse manövriert habe, bin ich ganz schnell bei Gott und frage, warum er das zugelassen hat oder wie es denn dazu kommen konnte. Wir wollen oft unsere eigenen Entscheidungen treffen, aber tun uns schwer damit, die Verantwortung und die Konsequenzen dafür zu tragen.
Und damit sind wir am Ende des Richterbuches angelangt. Der letzte Satz ist uns mittlerweile gut bekannt. Er ist programmatisch für das gesamte Buch: „In jenen Tagen war kein König in Israel. Jeder tat, was recht war in seinen Augen.“ Die Botschaft, die uns der Verfasser des Richterbuches mitgeben will, ist eindeutig: So wie es aktuell läuft, kann es auf keinen Fall weitergehen! Die Richter haben zwar zeitliche Rettung gebracht, aber sie konnten den Verfall Israels nicht aufhalten. Sie selbst wurden sogar mit der Zeit immer schlimmer. Was es braucht, ist ein König! Ein König, der das streitsüchtige, zersplitterte und gottlose Volk unter sich vereint. Der dafür sorgt, dass Recht und Ordnung wiederhergestellt werden. Der Israel vor dem Untergang bewahrt. Damit ist diese immer wiederkehrende und nun abschließende Bemerkung die Sprungschanze zum nächsten biblischen Buch, dem Buch Samuel. Dort bekommt Israel seinen König.
„Das ganze Buch Richter zeigt uns, dass obwohl wir selbst das Problem sind, wir nicht unsere eigene Lösung sein können. Wir müssen nach einem König suchen, so wie Israel.“1Timothy Keller, Judges For You, Kindle Edition. Wie Israel brauchen wir einen König, der uns tiefgreifend verändert, nicht nur oberflächlich. Was wir brauchen, ist ein erneuertes Herz, das sich nicht immer wieder von Gott abwendet. Wie Israel brauchen wir einen König, der aus seiner eigenen Initiative heraus uns rettet, denn wir hätten ihn nie darum gebeten. Wie Israel brauchen wir einen König, der unsere Rettung selbst vollbringt, denn wir sind unfähig, viel zu verdorben, um uns selbst irgendwie zu retten. Dieser König ist Jesus! Wie Israel brauchen wir Jesus, der uns rettete, als wir noch Sünder waren und nicht nach Gott fragten. Er war der einzige Mensch, der nicht tat, „was recht war in seinen Augen“. Er war Gott vollkommen gehorsam. Durch seinen Tod und Auferstehung – seinen „Triumph durch Niederlage“ – hat er uns gerettet.
Das ist das Evangelium. Und so finden wir es im Buch Richter.
Gebet: Vater, danke dass du uns nicht unserer Verdorbenheit überlassen hast. Danke, dass du deinen Sohn gesandt hast, um uns zu retten. Wir hätten niemals danach gefragt und hätten weiter versucht, uns selbst zu retten. Danke für dein unverdientes Geschenk, durch das wir deine Liebe zu uns sehen. Amen.
Fußnoten
- 1Timothy Keller, Judges For You, Kindle Edition.