Blinder Glaube oder begründete Entscheidung?

In Vorbereitung auf eine Kleingruppenlektion habe ich mich mit der Berufung der ersten Jünger in Matthäus 4,18-22 beschäftigt. Die Geschichte wird oft als Beispiel für den Glauben der Jünger verwendet. Das ist auf jeden Fall auch der erste Gedanke, der mir beim Lesen in den Kopf kommt. Ich glaube auch, dass das in gewissem Maß auch stimmt. Es gehört auf alle Fälle eine Menge Vertrauen dazu, seinen Job und Versorgungsquelle zum größten Teil an den Nagel zu hängen und „hauptberuflich“ Schüler zu sein. Der sofortige Gehorsam der Jünger verlangt unseren Respekt. So wie ich mich kenne, hätte ich mir die Sache erst einmal gründlich durch den Kopf gehen lassen, hätte meine verfügbaren Rücklagen gecheckt, ob ich das guten Gewissens machen kann. Somit sind mir die ersten Jünger ein großes Vorbild in ihrem Vertrauen. Das wünsche ich mir noch viel mehr für mein Leben!
In diesem Zusammenhang kann aber auch schnell der Gedanke des „blinden Gehorsams“ aufkommen. Nämlich die Sicht, dass die Jünger blind geglaubt haben, ohne groß weiter darüber nachzudenken. Und so wird nicht nur ihr Vertrauen und unmittelbarer Gehorsam zum Vorbild für uns, sondern auch das anscheinende Fehlen von rationalen Gründen. Und somit werden sie letztlich zu Vorbildern für den „kindlichen Glauben“, der nicht erst alles hinterfragt. Jedoch finde ich diese Sicht doppelt falsch. Erstens, weil sie den christlichen Glauben einseitig darstellt. Und zweitens, weil sie nicht den Tatsachen entspricht.

Wenn wir die Berufung der ersten Jünger im Matthäus- oder Markus-Evangelium lesen, dann können wir zu dem Schluss kommen, dass die Jünger „einfach so“ dem Ruf von Jesus gefolgt sind. Sie haben ihn zuvor nicht weiter gekannt; er kommt zu ihnen gelaufen, fordert sie auf ihm nachzufolgen und sie gehorchen ihm sofort und gehen mit. Wenn wir jedoch die beiden anderen Evangelien einbeziehen, ergibt sich ein komplexeres Bild.
Wir können davon ausgehen, dass die vier berufenen Jünger Jesus bereits kannten. Auf jeden Fall Andreas und Simon Petrus. In Johannes 1,35-42 wird Andreas als ein Jünger von Johannes dem Täufer vorgestellt, der einen „Schnuppertag“ mit Jesus verbringt. Danach erzählt er seinem Bruder Simon von ihm und bringt ihn zu Jesus. Diese Episode spielt sich in Judäa ab, bevor Jesus seinen Dienst in Galiläa beginnt. Als er dann in seine Heimatgegend kommt, lässt er sich in Kapernaum nieder, nachdem ihn die Leute aus Nazareth ablehnen (Lukas 4,14-31). Andreas und Simon wohnen auch in dieser Stadt. Dort lehrt Jesus öffentlich in der Synagoge und treibt Dämonen aus. Er heilt auch Kranke, einschließlich der Schwiegermutter von Petrus, als er bei diesem zuhause ist (V. 32-41). Erst danach folgt bei Lukas die Berufungsgeschichte (5,1-11). Diese ist das gleiche Ereignis oder das direkt vorangehende zu eingangs erwähnter Stelle in Matthäus.
Was ich damit zeigen will, ist die Tatsache, dass Andreas und Simon Petrus Jesus bereits genauer kannten, als dieser sie zur Nachfolge aufruft. Schmälert das den Vorbildcharakter der Jünger? Keineswegs! Das Vertrauen, dass sie Jesus entgegenbringen, finde ich immer noch bewundernswert. Was sie tun, ist keine leichte Sache. Ihr Gehorsam verlangt unseren Respekt und dient als Vorbild für uns. Und dennoch treffen diese Männer keine „kopflose“ Entscheidung. Sie haben Jesus bereits in mehreren Situationen kennengelernt. Sie konnten sich ein gewisses Bild über ihn und seine Lehre machen. Sie konnten ihn und seine Botschaft einordnen. Die ersten Jünger hatten ausreichende Informationen über Jesus, um einzuschätzen, ob er ein gutes Ziel verfolgt. Sie konnten eine begründete Entscheidung treffen, ob sie Jesus nachfolgen wollen oder nicht.

Jesus selbst warnt vor leichtfertiger und unüberlegter Nachfolge. In Lukas 14,26-33 ruft er dazu auf, die Kosten der Jüngerschaft zu überschlagen, bevor man sich auf ihn einlässt. Denn Jesus ist nicht einfach nur ein tolles Add-On im Leben, sondern er beansprucht die uneingeschränkte Herrschaft. Man muss sich also überlegen, ob man dazu wirklich bereit ist. Um so eine Entscheidung treffen zu können, braucht man einige Ausgangsinformationen. Die ersten Jünger hatten solche Informationen. Das bedeutet natürlich nicht, dass sie genau überblicken konnten, was sie mit Jesus erleben werden. Die weiteren Evangeliumsberichte machen deutlich, dass sie bis zum Schluss nicht wirklich begriffen, was Jesu Mission war.
Genauso können wir niemals überblicken, welche Auswirkungen die Nachfolge Jesu für unsere Leben hat. Aber wir können dennoch aufgrund der uns vorliegenden Informationen über Jesus eine begründete Entscheidung treffen, ob er es wert ist, dieses Wagnis einzugehen.


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