Schritte aus der Eile (2): Sabbat

Im letzten Artikel habe ich davon berichtet, wie Stille und Einsamkeit unerlässlich für einen gesunden Glauben sind. Am Ende schrieb ich, dass ein Änderungspunkt für mich darin besteht, den Sabbat oder Ruhetag wieder neu zu beachten. Darum soll es heute gehen.
Ich bin in einer gläubigen Familie großgeworden und so kannte ich von Klein auf die Ruhe und Andersartigkeit des Sonntages. Wir haben den Gottesdienst besucht und am Nachmittag Freunde und Familie. Oder wir haben einen Ausflug gemacht oder anderweilig Zeit als Familie verbracht. Aber fest stand, dass an diesem Tag nicht gearbeitet wurde. Und als mein Bruder und ich einige Jahre im Fußballverein aktiv waren, stand von Vornherein fest, dass wir an Sonntagsspielen nicht dabei sein würden. Glücklicherweise waren diese Spiele die Ausnahme. Ich bin dankbar dafür, dass meine Eltern den Wert des Sonntages so hochgehalten und kompromisslos verteidigt haben. Aber weil der Ruhetag so selbstverständlich zu meinem Leben und Wochenplan dazugehörte, habe ich ihn einfach als gegeben angesehen und mich kaum mit den dahinterliegenden Werten und Prinzipien beschäftigt. Warum gibt es überhaupt den Ruhetag?

Was Gott sich dabei gedacht hat

In der Bibel sehen wir, dass der Sabbat oder Ruhetag von Gott selbst eingesetzt wird. In Genesis 1 lesen wir, dass Gott die Erde und das Weltall in sechs Tagen erschaffen hat. Der Schöpfungsbericht endet mit dem siebten Tag, an dem Gott ausruhte „von all seinem Werk, das er gemacht hatte.“ Dieser Gedanke hat mich schon immer fasziniert, dass Gott ausruht, obwohl er es ja offensichtlich nicht nötig hätte. Er wäre nicht Gott, wenn er irgendwann erschöpft und mit seiner Kraft am Ende wäre. Es muss also noch eine andere Erklärung geben.
Gott segnet den siebten Tag. Im Schöpfungsbericht werden sonst nur die Tiere und Menschen nach ihrer Erschaffung gesegnet. John Mark Comer meint in seinem Buch The Ruthless Elimination of Hurry dazu, dass Gott den Sabbat segnet, weil er wie Menschen und Tiere lebensspendend ist. Nicht in dem selben wörtlichen Sinn, jedoch auf eine geistliche Art. In den Zehn Geboten sagt Gott explizit, dass dieser Tag ihm gewidmet ist. Gott baut in seine Schöpfung von Anfang an einen Rhythmus von Arbeit und Ruhe ein. Der Mensch ist nicht dafür gemacht non-stop zu arbeiten. Gott wünscht sich, dass wir einen Tag der Ruhe pro Woche haben. Einen Tag, an dem wir nicht weiteres machen, als uns mit Gott zu beschäftigen, weil das das Beste für uns ist.

Was wir aus dem Ruhetag gemacht haben

Vor diesem Hintergrund ist es schon erstaunlich, was wir aus dem Ruhetag gemacht haben. Irgendwie sind wir auf die Idee gekommen, dass das Sabbatgebot für uns keine Rolle mehr spielt und wir uns keine Ruhe zu gönnen brauchen. In der Business-Welt ist die „Hustle-Culture“ (in etwa: Kultur der gnadenlosen Produktivität/Betriebsamkeit) mittlerweile Standard. Es wird einfach erwartet, immer und überall erreichbar zu sein und jede freie Minute produktiv zu nutzen. Und wenn man nicht mit der Arbeit beschäftigt ist (z.B. am Wochenende und insbesondere am Sonntag), dann widmet man sich seinen Nebenprojekten, den Dingen, die sonst immer liegenbleiben, was man unter der Woche nicht geschafft hat. Und auch im geistlichen Bereich ist dieses Denken mittlerweile recht verbreitet. Ich selbst bin da keine Ausnahme. Viele Sonntage habe ich eine Aufgabe im Gottesdienst und an den Nachmittagen habe ich oft die Bücher gelesen, zu denen ich sonst nicht kam (was in der Regel keine „Entspannungsbücher“ waren, sondern solche, aus denen ich für meine Aufgaben irgendeinen Nutzen ziehen wollte). Ich hatte oft das Gefühl, mir einen ganzen Ruhetag einfach nicht „leisten“ zu können. Wenn ich nicht auch den Sonntag wenigstens halbwegs produktiv nutze, gehe ich schlecht mit meiner Zeit um oder gerate mit meinen Aufgaben in Rückstand.
Dieses durchgängige Arbeiten kann nicht richtig sein. Genauso aber fühlt sich auch das andere Extrem nicht wirklich richtig an. Wirklich gar nichts tun oder nur eine definierte Liste mit „erlaubten“ Aktivitäten zu haben, verschafft zwar Ruhe, ist aber wahrscheinlich auch nicht wirklich „lebensspendend“.

Was wir von Jesus lernen können

Wieder einmal finde ich Jesu Umgang mit dem Sabbat unglaublich bemerkenswert. Zum einen bestätigt er das Gesetz Gottes, das ja das Sabbatgebot enthält. Zum anderen jedoch scheint er mit der damaligen Auslegung des Gesetzes überhaupt nicht einverstanden zu sein. Die Pharisäer damals achteten auf eine penible Einhaltung des Ruhegebotes. Sie hatten eine unglaublich lange (und aus unserer Sicht merkwürdige) Liste mit Dingen, die erlaubt und nicht erlaubt waren. Ihrer Meinung nach würde der Messias kommen und Israel befreien, wenn die Juden es kollektiv schaffen würden, einen Sabbat komplett zu halten. Für sie waren also die Menschen für den Sabbat da. Sie dienten mit ihrem Einhalten des Ruhegebots dem Gesetz und somit dem Erscheinen des Retters.
Jesus jedoch sagt etwas ganz anderes. Er hat kein Problem damit, dass seine Jünger am Sabbat Getreideähren pflücken (und somit „ernten“) und essen. Es ist für ihn auch selbstverständlich, Menschen in Not am Sabbat zu helfen, was anscheinend für die Pharisäer auch unter „Arbeit“ zählte (Matthäus 12,1-12). Er dreht die Ansicht dieser Leute um: Der Mensch ist nicht für den Sabbat geschaffen, sondern der Sabbat für den Menschen! Der Sabbat ist Gottes Geschenk an uns, keine Pflicht, die wir einhalten müssen. Gott schenkt uns einen Tag, an dem wir von all unserer Arbeit zur Ruhe kommen können. An dem wir Kraft tanken können. An dem wir uns auf ihn fokussieren und ausrichten können.
Diesen letzten Aspekt finde ich besonders interessant. Jeder Produktivitäts-Ratgeber beschwört den Wert einer regelmäßigen Reflektions- und Planungszeit, in der man den Blick von den alltäglichen Aufgaben hebt und sich das große Bild ansieht. Man checkt sozusagen, ob man noch auf Kurs ist. Ob man noch das Ziel im Blick hat. Als Christ ist Gott mein Fixpunkt und Ziel. An ihm soll sich alles in meinem Leben ausrichten. Und Gott schenkt uns (lange vor David Allen und seinen Kollegen) einen ganzen Tag, an dem es nur um die Hauptsache in unserem Leben gehen soll.
Wie schon gesagt, mir fällt das oft schwer, sich wirklich den Tag frei zu nehmen und bewusst die Arbeit ruhen zu lassen. Aber das ist eine weitere Lektion, an die mich der Sabbat wöchentlich erinnern will: Ich bin nicht der Retter der Welt! Die Welt dreht sich auch sehr gut ohne mich weiter. Der Sabbat ist die regelmäßige demütige Anerkennung, dass letztendlich alles von Gott abhängt und nicht von mir. So schmerzhaft diese Erkenntnis oft für mich ist, so wichtig ist sie auch.
Und damit verbunden ergibt sich noch der Aspekt, dass der Ruhetag eine wöchentliche Erinnerung daran ist, dass das Beste erst noch kommt. Nämlich indem wir „auf diese Weise unsere Erwartung auf die ewige Ruhe in Gottes Herrlichkeit ausdrücken“ (New City Katechismus). Jede Woche werden wir daran erinnert, dass diese Welt nicht alles ist. Dass die eigentliche Ruhe noch vor uns liegt.

Was ich mir daraus mitnehme

Wie spiegeln sich also diese Gedanken praktisch in meinem Umgang mit dem Ruhetag wider? Zunächst einmal musste ich lernen, dass ein Ruhetag nicht einfach so passiert. Wenn ich will, dass ich auch wirklich Ruhe habe, dann muss ich das entsprechend planen. Dann muss ich den Rest meiner Woche so gestalten, dass ich ohne Probleme einen Tag „nichts“ machen kann, ohne dass ich dadurch meine Aufgaben nicht schaffe. Außerdem muss ich meine Pläne klar mit meiner Frau besprechen, damit wir die gleiche Vorstellung davon haben, wie der Tag aussieht. Für uns ist der Ruhetag in den meisten Fällen der Sonntag. Für den Fall, dass ich eine Predigt halte, verschiebe ich den Ruhetag auf einen anderen Tag, meist den Samstag davor. Andere Tage sind kaum praktikabel. Ich verstehe, dass nicht jeder in so einer Situation wie wir ist. Für manche kann es tatsächlich unmöglich sein, sich einen kompletten Tag aus dem Geschehen herauszunehmen. Aber vielleicht ist es in diesen Fällen dennoch möglich, sich einen größeren Zeitblock in der Woche zur Ruhe und Besinnung auf Gott zu nehmen.
Was tun wir an unserem Ruhetag? Für mich war der erste Punkt, dass an diesem Tag mein Smartphone ausgeschaltet in einer Schublade liegt. Ich merke die unglaubliche Anziehungskraft, die dieses Gerät auf mich ausübt und dem will ich gern etwas entgegensetzen. Außerdem arbeiten wir an keinen Projekten, lesen das, worauf wir gerade Lust haben und machen bei Bedarf ganz ohne schlechtes Gewissen einen Mittagsschlaf. Wir versuchen, draußen unterwegs zu sein und Gottes Schöpfung bewusst wahrzunehmen.

Ich kann für mich sagen, dass die Neubesinnung auf die Einhaltung des Ruhetages einen deutlichen Unterschied in meinem Leben gemacht hat. Ich merke, wie ich auch in stressigen Wochen gelassener bin, weil ich weiß: Es kommt ein Ruhetag und da kann ich wieder auftanken. Selbst wenn jemand meint, dass das Gebot für uns nicht mehr bindend ist, will ich den Tag dennoch nicht missen.


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