Warum musste Jesus sterben?

Warum musste Jesus sterben? Diese Frage schoss mir plötzlich in den Kopf, als ich an Karfreitag dachte. Es ist doch eine ziemlich drastische Maßnahme, die Gott dort am Kreuz ergreift. Hätte es denn nicht auch irgendwie anders gehen können? Wozu all das Leid und Blutvergießen? Die Vorstellung eines Gottes, der nach Blut und sogar einem Menschenopfer verlangt, um vergeben zu können, passt irgendwie gar nicht in das Bild des liebenden, gnädigen und vergebenden Gottes, das wir oft im Kopf haben. Und ich glaube, auch vielen Nichtchristen geht es ähnlich. Auch sie fragen sich, wie das denn liebend sein soll, dass ein Unschuldiger anstelle von Schuldigen leidet und stirbt. Manch einer geht sogar so weit, Gott als einen „kosmischen Kinderschänder“ zu bezeichnen, der seinen Sohn zur eigenen Befriedigung bestraft und tötet. Für Christen klingt das verständlicherweise unerhört und falsch, aber was ist dann richtig?

Diese Ansicht hat mehrere Unschärfen. Zum einen hat sie eine falsche Vorstellung von Gott. Zum anderen hat sie ein falsches Bild von unserer Schuld. Und schließlich sieht sie das Zusammenspiel von Gott dem Vater und Gott dem Sohn nicht richtig.

Ein falsches Bild von Gott

Unser allgemeines Bild von Gott ist vor allem von der Vorstellung des liebenden Gottes geprägt. Nun ist das ja auch richtig; Gott sagt selbst, dass er die Liebe ist (1Johannes 4,8). Aber es ist nicht so, dass Gottes Liebe alles andere aussticht, dass er uns doch vergeben muss, weil er uns doch so sehr liebt. Wir denken oft, dass Gott doch mal ein Auge zudrücken soll. So schlimm ist unsere Sünde doch nicht! So wie der gutmütige Lehrer, der den Betrugsversuch bei der Klassenarbeit gekonnt übersieht oder der irgendwelche „Formpunkte“ gibt, damit man noch die bessere Note schafft. Wir vergessen dabei aber, dass Gott eben nicht nur liebend ist, sondern unter anderem auch heilig und gerecht. Und diese Eigenschaften stehen nicht in einer Rangordnung, als ob sich Gottes Gerechtigkeit seiner Liebe unterordnen müsste. Gott ist immer vollkommen gerecht und immer vollkommen gut. Er ist nicht mal so und mal so. Deshalb ist es für ihn unmöglich Schuld ungestraft zu lassen.

Und was wir auch oft vergessen: Gott ist unser Schöpfer! Er ist eine ganz andere Kategorie zu uns Menschen. Er ist souverän; er steht über allem, er ist von niemandem abhängig und niemandem verpflichtet. Gott muss niemandem vergeben! Wenn er vergibt, dann weil er sich dazu entscheidet zu vergeben. In diesem Sinn können wir sagen, dass Jesus nicht sterben musste. Wenn Gott sich aber dazu entscheidet zu vergeben, dann muss es auf eine Weise tun, die seiner Gerechtigkeit gerecht wird. Die große Frage, die sich daraus ergibt, ist: Wie kann Gott vollkommen gerecht sein und dabei entsprechend seiner vollkommenen Liebe handeln und sich dabei selbst nicht verleugnen?

Ein falsches Bild von unserer Schuld

Wir haben aber nicht nur eine verdrehte Sicht auf Gott, sondern auch auf unsere Schuld in Bezug auf ihn. Ich behaupte, dass wir uns der Schwere unserer Schuld vor Gott nicht wirklich bewusst sind. Das hängt wahrscheinlich damit zusammen, dass uns wiederum nicht wirklich bewusst ist, gegen wen wir schuldig geworden sind. Gott ist nicht unser Nachbar, den wir mit einem gemeinsamen Bier wieder besänftigen können. Mit unserem Verhalten und unseren Gedanken sündigen wir immer wieder gegen ihn; es ist unsere Gewohnheit ihm nicht zu gehorchen, sondern unseren eigenen Willen zu tun. Deshalb haben wir keine Möglichkeit, uns in irgendeiner Weise selbst zu retten. Denn egal wie viele guten Taten wir zu tun versuchen, um unsere Schuld abzutragen, es wird nicht reichen. Und weil Gott gerecht und heilig ist, muss er unsere Sünde bestrafen. Die Bibel sagt, dass die Folge der Sünde der Tod ist (Römer 6,23). Gott selbst hatte es genauso ganz am Anfang im Garten Eden angekündigt: Wenn Adam und Eva ihm ungehorsam wären und von der Frucht des verbotenen Baumes äßen, müssten sie sicher sterben (1.Mose 2,17). Würde Gott nun die Sünde nicht bestrafen, wäre er nicht vollkommen gerecht. Und das wäre uns auch nicht recht. Schließlich verlangen wir von Gott, dass er Unrecht nicht ungesühnt lässt. Das Problem ist bloß, dass jetzt wir selbst die Angeklagten sind. Unsere Forderung nach Gerechtigkeit richtet sich nun auf einmal gegen uns selbst. Wie also kann Gott die Sünde bestrafen, seiner eigenen Gerechtigkeit gerecht werden und uns dennoch aus Liebe retten?

Wir brauchen jemand, der an unserer Stelle unsere Schuld bezahlen kann. Einen Gläubiger, der an unserer Stelle zur Rechenschaft gezogen werden kann, weil wir selbst moralisch zahlungsunfähig sind. Die Bibel sagt, dass Jesus diese Person ist. Er war der perfekte Mensch, der das perfekte, sündlose Leben lebte, das von uns erwartet wurde und wir nie erreicht haben. Er ist der einzige Mensch, der nicht selbst mit Schuld(en) vor Gott steht. Er ist als einziger fähig zu bezahlen.

Musste Jesus gegen seinen Willen sterben?

Und damit sind wir bei der letzten Frage: Musste Jesus gegen seinen Willen sterben? Ist etwas dran an der Behauptung, Gott wäre ein „kosmischer Kinderschänder“? Schließlich betet er kurz vor seinem Tod dreimal schon fast verzweifelt im Garten Gethsemane zu Gott: „Wenn es möglich ist, dann wähle bitte einen anderen Weg!“ Aber diese Meinung setzt voraus, dass Gott der Vater und Gott der Sohn in einer Art Streit miteinander waren oder unterschiedliche Interessen hatten. Ich glaube nicht, dass wir diese Trennung machen dürfen. Gott kann nicht in sich selbst entzweit sein. Wenn er den Plan gefasst hat, Sündern zu vergeben, dann stimmen darin Vater, Sohn und Heiliger Geist überein und alle arbeiten darin zusammen, diesen Plan zu verwirklichen. Wenn Jesus also den Vater bittet, er möge doch diesen Kelch an ihm vorübergehen lassen (Matthäus 26,39) und er dann dennoch sich gefangen nehmen lässt und stirbt, dann zeigt das, dass es eben keinen anderen Weg gab, uns zu erretten. Sein Tod war absolut notwendig, um sündige Menschen vor einem heiligen Gott gerecht sprechen zu können. Jesus sagt es selbst nach seiner Auferstehung: „Musste nicht der Christus dies leiden…?“ (Lukas 24,26) Das Sterben von Jesus ist also kein Akt väterlichen Missbrauchs, um die göttlichen Ziele durchzusetzen. Jesus war nicht hilflos und gegen seinen Willen dem Handeln seines Vaters ausgesetzt. Er selbst sagte ja, dass ihm sofort eine Menge Engel zur Verteidigung bereitstehen würden (Matthäus 26,53). Nein, sondern er ordnete sich bereitwillig unter und nahm seinen Platz im göttlichen Rettungsplan für die Menschheit ein. Hier sehen wir die unvorstellbare Liebe Gottes zu uns Menschen! Sie ist so groß, dass der Sohn Gottes bereit ist, die Herrlichkeit in der Gemeinschaft mit seinem Vater zu verlassen, als Mensch auf dieser Erde zu leben und einen grausamen Tod zu sterben.

Musste Jesus sterben? Nein, aber er wollte es, damit wir die Möglichkeit haben vor Gott gerecht dazustehen.