In 90 Tagen durch die Bibel – ein Erfahrungsbericht

Anfang diesen Jahres habe ich die Bibel in 90 Tagen durchgelesen. Warum? Nun, das hatte mehrere Gründe. Zum einen, weil ich einfach mal wissen wollte, wie machbar das tatsächlich ist. Dass man sehr gut ohne größere Anstrengung die Bibel innerhalb eines Jahres durchlesen kann, ist bekannt. Das war auch mein Standardplan während der letzten Jahre. Nun wollte ich wissen, wie viel anstrengender es wohl ist, für die gleiche Menge an Text nur drei Monate zu benötigen. Ist das überhaupt im (fast) normalen Alltag möglich? Außerdem wollte ich mir selbst die Herausforderung stellen, um mehr Zeit in Gottes Wort zu verbringen. Ich hatte mir schon vor längerer Zeit einige Bibellesepläne „für später“ abgespeichert, die ich jedoch noch nie begonnen habe, weil sie mir zu intensiv erschienen. Ende letzten Jahres kam mir dann der Gedanke, ob nicht die Pläne zu umfangreich sind sondern ich einfach nur nicht gewillt bin, mehr Zeit mit Gott zu verbringen? Deshalb fasste ich den Entschluss, „wenn schon, dann richtig“ ins tiefe Wasser zu springen. Der andere Grund für mein „Experiment“ war die erwähnte Tatsache, dass ich in den letzten Jahren im Jahresrhythmus immer wieder die Bibel von vorn bis hinten durchgelesen habe. Mir fehlte nach dieser Zeit der Tiefgang. Soll heißen, ich wollte gern wieder tiefer in Bibeltexte eintauchen; auch mal einen Tag nur mit ein oder zwei Versen verbringen. Dafür ist doch aber ein 90-Tage-Plan denkbar ungeeignet?! Stimmt, aber er lässt mir noch genügend Tage im Jahr, um mich auf das intensive Studium konzentrieren zu können. Denn das Überblickslesen will ich trotzdem nicht sein lassen.

Ich habe also nach geeigneten Leseplänen gesucht. So hatte ich eine Orientierung, wie groß der tägliche Leseumfang sein müsste. Leider gibt es keine deutschsprachigen Lesepläne (jedenfalls habe ich keine gefunden); glücklicherweise sind die englischen Bezeichnungen der Bibelbücher in der Regel eindeutig. So kann jeder, der des Englischen nicht mächtig ist, dennoch ruhigen Gewissens diese Pläne verwenden. Zwei Pläne kamen in meine nähere Auswahl: Der „CSB The Bible in 90 Days“-Plan (von den Herausgebern der Christian Standard Bible) und der „Every Word“-Plan. Der erste Plan geht schnörkellos einmal von vorn nach hinten durch die Bibel. Außerdem hat er zwei eingebaute „Gnadentage“, falls man mal eine Lesung aufholen muss. Der zweite Plan ordnet die Lesungen in chronologischer Reihenfolge an und hat zieht gnadenlos die 90 Tage durch. Ich habe mich für den zweiten entschieden, vor allem aufgrund der zeitlich geordneten Struktur. Auf der verlinkten Internetseite kann man den Plan herunterladen. Wer lieber digital unterwegs ist, findet das selbe Programm auch in der YouVersion Bibelapp (unter den englischen Leseplänen). Außerdem gibt es ein Begleitbuch (auch in englisch). In diesem findet man kurze Einführungen zu den biblischen Büchern und Hinweise zur Bibellese, die der Reflektion und dem Verstehen helfen sollen. Dieses Buch habe ich mir nicht gekauft, es ist nicht zwingend notwendig für den Plan.
Mit meinem gewählten Plan habe ich mich dann am 01. Januar auf das Abenteuer eingelassen. Und ich muss sagen, dass ich mir es schlimmer vorgestellt hatte, als es dann am Ende tatsächlich war. (Anmerkend sollte ich erwähnen, dass ich auch während dieser Zeit coronabedingt fast ausschließlich im Homeoffice gearbeitet habe. Die Zeit, die ich sonst frühmorgens im Auto saß, hab ich nun mit Bibellesen gefüllt. Ohne diesen Umstand wäre es mir zweifelsohne sehr viel schwerer gefallen, am Nachmittag nach der Arbeit mich noch einmal zum Lesen hinzusetzen.) In der Regel mussten täglich zwischen 10 und 15 Kapitel gelesen werden. Ich habe das gut innerhalb einer Stunde geschafft (Nächste Anmerkung: Meine Frau und Familie bescheinigen mir ein „schnelles“ Lesetempo). Man muss sich halt klar sein, auf welche Art man in diesem Zeitraum die Bibel liest. Hier geht es nicht darum, die Details des Textes aufzunehmen und zu durchdenken, sondern die große Geschichte und die überspannenden Zusammenhänge stehen hier im Fokus. Ich nehme die Erzählung in großen Zügen auf und konzentriere mich auf den großen Spannungsbogen, den die Bibel von der Schöpfung bis zur Offenbarung zieht. Kam mir beim Lesen ein Gedanke oder eine Frage in den Kopf, so habe ich diese schnell in meinem Notizbuch aufgeschrieben und dann einfach weitergelesen.

Was ist also mein Fazit nach dem erfolgreichen Abschluss des Bibelleseplans? Vieles hat mir außerordentlich gut gefallen: Zum Beispiel der Überblick, den mir dieses Lesen über die Bibel gegeben hat. Auch wenn ich behaupten würde, mich gut in diesem Buch auszukennen, so habe ich doch durch diesen intensiven Konsum einige Zusammenhänge neu entdeckt. Die chronologische Struktur hilft dafür ungemein. So liest man zu den Begebenheiten aus Davids Leben wenn vorhanden den zugehörigen Psalm. Mehr als einmal habe ich gestaunt, wie David selbst in Situationen nervenaufreibender Verfolgung noch die Zeit hatte, seine Gebete kunstvoll festzuhalten. Auch sind die prophetischen Bücher zeitlich passend in die Geschichtsbücher eingeschoben. Viele Boten Gottes, die für mich bisher nur in einem geschichtlichen Vakuum schwebten, wurden nun in der konkreten Geschichte Israels verankert. Ein weiterer Vorteil ist, dass durch das schnelle Lesen die Struktur langer Bücher viel deutlicher sichtbar wird. Am Ende des fünften Buches Mose zum Beispiel weiß man noch, was in den ersten Kapiteln stand, weil man das erst zwei Tage zuvor gelesen hatte. Einen letzten positiven, vielleicht etwas überraschenden, Aspekt des Plans möchte ich noch nennen. Ich empfande das Dranbleiben an diesem Plan, trotz seiner großen Lesemenge, über weite Strecken einfacher als bei einem Jahresplan. Wie das? Wenn man die Bibel im Lauf eines Jahres liest, dann kommt man immer wieder an Durststrecken, wo sich die Geschichte nicht weiterentwickelt, man keine Ahnung hat, was das zu bedeuten hat und ein Ende nicht in Sicht ist. Viele Leser bleiben irgendwo im dritten Buch Mose mit seinen vielen Gesetzen und Vorschriften stecken. Und wenn man diesen Abschnitt überstanden hat, dann wird man meist in den Sommermonaten von den großen Propheten erwartet. Deren schiere Länge und (scheinbar) unrelevanten Gerichtsandrohungen zwingen so manchen Leser in die Knie. Wenn man jedoch die Bibel in nur 90 Tagen durchliest, dann sind diese „anstrengenden“ Texte auf viel kürzere Zeit komprimiert. Zum Vergleich: das dritte Buch Mose ist in 2,5 Tagen geschafft; Jeremia wird aufgrund seiner langen Wirkungszeit chronologisch verteilt über eine Woche mit anderen Texten gelesen. Nach den ersten drei Wochen hat man die fünf Bücher Mose, Hiob und Josua geschafft. Und somit schon fast ein Viertel des gesamten Plans! Das Gefühl tatsächlich Fortschritt zu machen und das Ziel die ganze Zeit vor Augen zu haben, wirken unglaublich motivierend.
Ich möchte aber auch nicht verschweigen, dass nicht alles schön und toll an so einem Plan ist. Zwei Dinge haben mir weniger gut gefallen. Das Erste ist der Umgang des Leseplans mit den Psalmen. Ich habe bereits gesagt, dass versucht wurde, diese zu ihrem historischen Kontext zuzuordnen. Das funktioniert leider nur selten. Zu den meisten liegen uns keine derartigen Informationen vor. Deshalb gibt es zwei Tage, an denen massenhaft Psalmen gelesen werden; an einem Tag 37 davon! Hier hätte ich mir gewünscht, dass die Psalmen auf die 90 Tage aufgeteilt werden. So liest man pro Tag ein bis zwei und kann besser auf diese eingehen und zur Basis für das eigene Gebet machen. Die zweite Sache, die mir nicht ganz so gefallen hat, darf eigentlich gar kein wirklicher Kritikpunkt sein, denn sie liegt in der Natur des intensiven Bibelleseplans. So schön es ist, umfangreiche Bücher in kurzer Zeit zu lesen und besser die Zusammenhänge zu erkennen, so anstrengend ist es, wenn man zu den kurzen Büchern gelangt. Das betrifft insbesondere die kleinen Propheten und neutestamentlichen Briefe. Wie bei den Psalmen liest man hier mehrere Bücher am Tag und wird geradezu mit Informationen und unterschiedlichen Inhalten bombardiert. Zwei Beispiele, jeweils eins aus jedem Testament:

  • Tag 50: Hesekiel 26-28; Obadja; Jeremia 21; 32-34; 2. Könige 25,3-26; Jeremia 52,6-27; 39,2-41,18
  • Tag 83: Philemon; Philipper; 1.Timotheus; Titus; 2.Timoteus

Solche Tage sind inhaltlich einfach überwältigend und man Ende weiß man wirklich nicht mehr, was man am Anfang gelesen hat. Das ist ziemlich schade.

Was ist nun mein Fazit zum 90-Tage-Bibelleseplan? Lohnt es sich, über drei Monate hinweg täglich ein bis anderthalb Stunden fürs Bibellesen zu reservieren? Ich bin der Meinung, ja! Die zuletzt beschriebenen Schattenseiten eines solchen Plans sind gering im Vergleich zu dem Gewinn, die ein solches Unterfangen mit sich bringt. Was gibt es für einen Christen besseres, als sich intensiv mit Gottes Wort zu beschäftigen? Nicht nur in seiner Tiefe, sondern auch in seiner Gesamtheit? Das Tolle an diesem Plan ist ja, dass er ja noch genügend Zeit im Jahr lässt, um detailliert Texte zu studieren und tief zu graben. Ich empfehle jedem Christen, die Bibel regelmäßig in seiner Fülle zu lesen. Sicherlich wird es Leute geben, für die das Tempo und der Zeitaufwand eines 90-Tage-Planes nicht realisierbar ist. Aber gleichzeitig gibt es meinem Empfinden nach viele Leute, die vorschnell behaupten, sie hätten für so eine Sache nicht genügend Zeit. Bevor du also sagst, du hast keine Zeit, schau doch mal kurz auf die durchschnittliche Nutzungszeit deines Smartphones. Vielleicht geht es dir ähnlich wie mir und du merkst, dass du eigentlich schon Zeit hättest, wenn du nur andere Dinge weniger nutzen würdest …