Vor einiger Zeit habe ich über den richtigen und falschen Platz von Technologie in unserem Leben geschrieben. Wir neigen dazu, Technologie einen zu großen Platz in unserem Leben einzuräumen. Über die daraus folgenden negativen Auswirkungen von Social Media etc. wird immer wieder berichtet. Wenn wir als Christen in der Bibel dazu aufgefordert werden, weise zu leben und die uns zur Verfügung stehende Zeit auszunutzen (Epheser 5,17-18), müssen wir uns fragen, ob unsere Technologienutzung dafür förderlich ist oder diesen Fokus behindert.
Eine Personengruppe, die im Zusammenhang mit dem Umgang mit Technik immer wieder erwähnt wird, sind die Amish. Die meisten Kommentare beziehen sich dabei auf ihre „Technologiefeindlichkeit“ und wie rückständig sie doch sind. Sie sind ein Sinnbild für die Ablehnung des Neuen, des sich Verschließens vor Neuerungen. Andy Crouch jedoch schlägt in seinem Buch The Tech-Wise Family einen anderen Ton an. Anstatt die Amish für ihre hinterwäldlerischen Ansichten zu belächeln, sollten wir uns eher ein Beispiel an ihrem Denken nehmen. Wenn wir der Technologie in unserem Leben den passenden Platz einräumen wollen, müssen wir zwar nicht wie die Amish werden, aber wir werden ihnen wahrscheinlich ähnlicher als wir anfangs denken.
Wer sich mit den Amish und ihren Grundsätzen zum Umgang mit moderner Technologie beschäftigt, merkt schnell, dass sie weniger einseitig sind als oft dargestellt. Entgegen der allgemeinen Meinung sind sie nicht strikt gegen alles Neue. Der Autor Cal Newport schreibt von der radikal werte-orientierten Sicht der Amish auf Technologie. Sie verwehren sich nicht pauschal; stattdessen testen und bewerten sie Neuerungen auf der Basis ihrer grundlegenden Werte. Zum Beispiel nutzt eine Einzelperson eine neue Technik als eine Art Fallstudie, während die Gemeinschaft sozusagen als „Jury“ diese Person beobachtet. So werden Nutzen und Nebenwirkungen neuer Geräte und Technologien in einem kontrollierten Rahmen getestet und bewertet und nicht einfach unreflektiert flächendeckend übernommen. Dinge, die der Gemeinschaft schaden und das Zusammenleben beeinträchtigen, werden auf dieser Basis abgelehnt.
Darum verzichten die Amish zum Beispiel bis heute auf die Nutzung von Autos. Sie beobachteten, dass der Nutzen bequemer Mobilität zugleich auch negative Auswirkungen hat. Denn da man mit dem Auto schnell weite Strecken zurücklegen kann, wird dadurch die lokale Gemeinschaft geschwächt. Diese Folgen wiegen für sie schwerer als der Nutzen der Technologie, deshalb verwenden die Amish bis heute keine Autos. Ein weiteres interessantes Beispiel ist ihr Umgang mit Telekommunikation. Private Telefone gibt es bei den Amish nicht; wieder, weil das sich nachweislich schlecht auf die lokale Gemeinschaft auswirkt. Denn anstatt mit den Leuten im direkten Umfeld zu sprechen, kann man ohne Schwierigkeiten im Kontakt mit Menschen in tausenden Kilometern Entfernung sein. Gleichzeitig aber ist die schnelle Kommunikation über weite Strecken manchmal auch sehr nützlich und kann in einigen Fällen sogar lebensrettend sein. Deshalb gibt es in den Amish-Kommunen oft ein öffentliches Festnetz-Telefon. Somit ist bei Bedarf die Kommunikation mit der „Außenwelt“ möglich, aber ohne die Gefahr der Schwächung der Beziehungen vor Ort.
Ich glaube, dass wir vom Umgang der Amish mit Technologie zwei wichtige Dinge lernen können.
Technologie soll unseren Zielen dienen
Es ist eine Illusion zu denken, Technologie sei an sich neutral. Stattdessen hat jede Technologie eine Agenda, d.h. sie verfolgt ein bestimmtes Ziel. Wir haben gleichzeitig auch Ziele in unserem Leben. Um Technologie gewinnbringend einsetzen zu können, müssen wir uns unserer Ziele bewusst sein und gleichzeitig verstehen, welche Ziele Technik verfolgt. Passen diese Ziele zusammen? Oder stehen sie im Widerspruch zueinander? Für eine gute Bewertung empfiehlt der Medienwissenschaftler und Technologie-Kritiker Neil Postman folgende Fragen:
- Was gibt uns die Technologie?
- Was nimmt sie uns weg?
Letztlich sollen meine Werte und Ziele meinen Umgang mit Technologie bestimmen, nicht andersherum! Unsere Technik soll uns dienen, nicht wir sollen ihre Sklaven sein. Leider hat sich das bei den meisten Menschen umgedreht …
Und daraus ergibt sich der zweite Lernbereich:
Technologie muss reglementiert werden
Wenn Technologie unseren Zielen dienen soll, dann müssen wir sie einschränken. Das heißt, wir benötigen für sie einen definierten Nutzungsrahmen. Innerhalb dieses Rahmens hilft sie uns, unsere Ziele zu erreichen; sie erleichtert unsere Arbeit und nimmt sie vielleicht sogar in gewisser Weise ab. Aber außerhalb des Rahmens behindert sie unsere Ziele. Technologie ohne Regeln und Limits dringt schnell in immer mehr Lebensbereiche ein und zwingt uns ihre Agenda auf. Damit entwickelt sie sich zu einer Ablenkung und Störung.
Das ist übrigens nicht nur in diesem Bereich so, sondern begegnet uns überall im Leben. Ohne Regeln und Grenzen neigen alle Dinge zur „Ausbreitung“ und Unordnung (Fachausdruck „Entropie“; siehe Zweiter Hauptsatz der Thermodynamik). Wenn ich keinen Ort für meine dreckigen Klamotten habe, liegen schnell überall auf dem Fußboden alte Socken herum. Wenn ich keine Ablage für zu bearbeitende Post definiere, liegen bald in der ganzen Wohnung geöffnete Briefe herum. In allen anderen Lebensbereichen ist uns klar, dass wir Regeln und Grenzen brauchen, um der Unordnung Einhalt zu gebieten. Nur im Fall von Technologie denken wir, dass dieses Grundprinzip des Universums keine Anwendung findet.
Wenn ich meinen Computer zielorientiert einsetze, ist er ein unbezahlbares Hilfsmittel für meine Arbeit. Er hilft mir, Bibeltexte zu studieren und Predigten auszuarbeiten, Druckdesigns für die Kirche zu erstellen, meine Termine und Aufgaben im Blick zu behalten, meine Gedanken und Notizen zu ordnen, oder auch diesen Artikel zu schreiben. Aber gleichzeitig ist dank der Internetverbindung auch YouTube oder Facebook nur einen Klick entfernt. Sobald ich mich langweile oder an einer Sache nicht weiterkomme, kann ich mich mühelos erst einmal ablenken. Und meist verbringe ich dann viel zu viel Zeit auf diesen Unterhaltungsseiten oder in zahlreichen Artikeln, anstatt an den eigentlichen Aufgaben zu arbeiten.
Um also die Vorteile von Technologie auszunutzen, müssen wir Regeln für die Verwendung aufstellen. Wir sollten uns ein Beispiel an den Amish nehmen, die nicht per se jede Technologie ablehnen, aber durch ihre radikale Einschränkung die Nachteile dieser in Schach halten können. Wie die Regeln konkret aussehen, ist für jeden unterschiedlich. Als Gedankenanregung können aber folgende drei Kategorien helfen:
- Nutzung nur während eines bestimmten Zeitraums. Z.B. man nutzt das Internet nicht während den Arbeitszeiten. Man schaut Filme nur am Wochenende. Ein kurioses Beispiel ist die chinesische Regierung, die die Zeit für Videospiele einschränkte, weil zu viele Jugendliche nur noch zockten.
- Nutzung nur in der Gemeinschaft. Z.B. schaut man nur Filme, Serien etc. mit anderen zusammen.
- Verzicht. Z.B. Löschen aller Social Media-Apps oder Spiele vom Smartphone.
Solch ein Verhalten ist nicht einfach in unserer Gesellschaft, in der wir jeden Tag die Nachricht hören, dass das neueste Gerät oder die neueste App unser Leben ein bisschen besser machen und wir dadurch ein bisschen glücklicher sein werden. Ich selbst kämpfe auch damit. Vor allem Apple-Geräte üben auf mich eine große Anziehung aus und locken mich immer wieder mit ihrem tollen Design, technischer Raffinesse und dem ausgeklügelten Zusammenspiel untereinander. Mehr als einmal habe ich schon nach einer Apple Watch gelüstet und mir immer wieder gute Gründe für einen Kauf zurechtgelegt. Aber wenn ich ehrlich bin, dann brauche ich sie nicht. Ja, wenn ich wirklich ehrlich bin, weiß ich sogar, dass dieses Gerät mir nicht dient, sondern im Gegenteil mich noch mehr ablenken wird. Die Vorteile, die ein solcher Computer am Handgelenk, der zufällig auch noch die aktuelle Uhrzeit mitteilt, bringt, stehen für mich in keinem Verhältnis zu all den Nachteilen und Ablenkungen, die ich mir damit einhandle. Eine ganz normale Uhr, die einfach nur die Zeit anzeigt, ist vielleicht nicht so modern, aber letztlich genau das, was ich brauche. Bei anderen mag das anders aussehen, ich schildere hier nur meine Erfahrung.
Als Christen sind wir berufen, ein Leben zu führen, dessen Ziel die Ehre Gottes ist. Wir sind berufen, für Gott Frucht zu bringen. Er hat uns befähigt und begabt, sodass wir mit unseren Gaben anderen Menschen dienen. Wir haben also ein Ziel, auf das wir uns ausrichten sollen. Welchen Platz haben dann moderne digitale Technologien in unseren Leben? Die Antwort wird sicherlich sehr individuell ausfallen. Ich kann mir aber sehr gut vorstellen, dass es für die meisten von uns dran ist, mehr wie die Amish zu werden anstatt im Gleichschritt mit der Gesellschaft mitzurennen.