Der Prediger und die KI

Seit über einem Jahr gibt es nun ChatGPT. Die Meinungen darüber sind in christlichen Kreisen recht unterschiedlich. Die einen loben die neuen technologischen Möglichkeiten überschwänglich. Als Beweis der ungeheuren Fähigkeiten der Künstlichen Intelligenz (KI) lässt man sie ganze Gottesdienste planen und ausführen (siehe Kirchentag 2023). Andere jedoch schlagen entsetzt die Hände über dem Kopf zusammen und stimmen sich schon mal auf das Erscheinen des Antichristen ein. Manche springen optimistisch auf den Zug auf und wollen die Technik fürs Reich Gottes nutzen; andere sehen darin (wie auch schon in früheren Neuheiten) die Welt und den Teufel, von denen man sich möglichst weit entfernen sollte.

Dass ChatGPT sich großer Beliebtheit erfreut, ist unbestreitbar. Vor allem jüngere Christen probieren die KI aus, verwenden sie mittlerweile als Standard-Suchmaschine anstelle von Google und lassen sich davon bei der Bearbeitung ihrer Hausaufgaben, Projektarbeiten und ähnlichem unterstützen. Den Reiz des Neuen kann man nicht verleugnen. Da ist es nur verständlich, dass man früher oder später auch auf den Gedanken kommt, ChatGPT für die Vorbereitung von geistlichen Themen zu verwenden. Jemand erzählte mir vor einigen Monaten von einem Fall aus seiner Gemeinde, wo eine Mitarbeiterin ChatGPT zur Ausarbeitung des Kindergottesdienstes verwendete. Wie soll man nun damit umgehen? Ist das zulässig oder nicht? Wenn auf dem Kirchentag eine KI-generierte und -gehaltene Predigt gezeigt wird, dürfen und sollten dann die Pastoren und Pfarrer im Land auch auf dieses Werkzeug zur Vorbereitung ihrer Predigten zurückgreifen? Man stelle sich nur die unglaubliche Zeitersparnis vor, wenn man einfach die richtige Aufforderung ins Chat-Fenster eingibt und wenige Sekunden später eine fertige Predigt ausgespuckt wird. Aber selbst wenn man nicht so weit geht, kann man sich immer noch die Arbeit der Exegese und Gliederung sparen, wenn man all das viel schneller erhalten kann. In diesem Beitrag will ich meine Gedanken zu dieser Frage erklären. Zuerst geht es darum, was ChatGPT überhaupt ist und wie es funktioniert. Dann werden wir uns fragen, was denn eine Predigt ausmacht. Auf dieser Basis folgt die Darstellung der Attraktivität dieses Werkzeuges für die Predigtvorbereitung und die Bewertung, ob es dafür geeignet ist.

Was ist ChatGPT?

ChatGPT ist ein KI-gesteuerter Chatbot. Es ist ein hoch entwickelter Algorithmus (also letztlich nichts anderes als eine extrem komplizierte und leistungsfähige definierte Folge von einzelnen Schritten, wie Mathematik), der den Anschein erwecken soll, man schreibe bzw. rede mit einem tatsächlichen Menschen. Er versteht unsere Aufforderungen und gibt gut verständliche, natürlich klingende Antworten. Im Hintergrund hat die Intelligenz Unmengen an Textdateien aus dem Internet analysiert, die die Informationsbasis für ihre Antworten bilden. Somit beherrscht sie die menschliche Sprache besser als die meisten Menschen. Für ChatGPT ist es also beispielsweise kein Problem, die Relativitätstheorie in verschiedenen Arten wiederzugeben: Als verständliche Erklärung für ein Grundschulkind, im Stil eines Shakespeare’schen Sonnet oder im Schreibstil von J.R.R. Tolkien (glaubt mir, ich habe alle drei Varianten probiert). Da der Algorithmus auf Basis der gestellten Fragen/Aufforderungen arbeitet, hängt die Qualität der Ergebnisse jedoch stark von der richtigen Fragestellung ab. Wer mehr über die Funktionsweise von ChatGPT und wie man gute Fragen formuliert, lernen will, dem empfehle ich das Handbuch des Theologiestundenten Markus Gebbe auf frogwords.de.

Allerdings können selbst bei guten Fragen die Antworten zwischen sehr gut und unglaublich dumm schwanken. Die Ergebnisse zu meinen Fragen nach der Grundschul-Erklärung der Relativitätstheorie und im Stile Tolkiens fand ich beide recht passabel. Jedoch wirkte der Versuch eines Sonnets unglaublich erzwungen und wurde weder der Theorie noch Herrn Shakespeare wirklich gerecht. Dieses Beispiel ist harmlos, aber in anderen Fällen können bei blindem Vertrauen auf die Antworten echte Probleme entstehen. Manche Ergebnisse wirken so wie die Antworten, die man als Schüler gegeben hat, wenn man auf die Frage der Lehrerin keine Lösung wusste: Irgendwas, das richtig klingen könnte, aber eigentlich nur geraten und ausgedacht war. Und tatsächlich läuft es so ähnlich bei ChatGPT. Wenn du es fragst, wird es antworten. Darauf ist es einfach programmiert. Aber ob die Antworten immer richtig sind, ist eine andere Frage. Der Algorithmus scheint dazu zu neigen, sich lieber eine Antwort auszudenken, anstatt seine Unwissenheit zuzugeben. In den USA suchte zum Beispiel ein Anwalt mithilfe von ChatGPT nach vergleichbaren Gerichtsurteilen zu seinem Fall. Der Algorithmus lieferte; nur leider waren unter den ausgegebenen Urteilen auch einige frei erfundene Fälle, die der Anwalt jedoch nicht bemerkte. In einem anderen Fall wurde ChatGPT für eine Literaturrecherche zu einem bestimmten Thema benutzt. Die meisten der vorgeschlagenen Bücher waren auch passend; es gab aber auch einige Titel, die frei erfunden waren. Von ChatGPT gelieferte „Fakten“ müssen also nicht zwingend wahr sein und sollten zwingend nochmal gegengeprüft werden.

Soviel also zur Funktionsweise und der Qualität von ChatGPT. Bevor wir es nun für die Verwendung zur Predigtvorbereitung bewerten, wollen wir uns kurz anschauen, was denn eine Predigt ist und was sie ausmacht. Auf dieser Basis können wir dann eine Einschätzung treffen.

Was ist eine Predigt?

Was macht eine Predigt aus? Ich würde eine Predigt so definieren: „Eine Predigt ist die geistgewirkte Auslegung und Anwendung des Wortes Gottes für die Gemeinde, mit dem Ziel Gott zu verherrlichen und die Zuhörer näher zu Gott zu bringen.“ Die Grundlage einer Predigt muss ein Bibeltext sein, der ausgelegt und auf das Leben der Zuhörer angewendet wird. Im Zentrum stehen Jesus Christus und das Evangelium, die Gute Nachricht von dem, was Jesus für uns getan hat. Ihr Ziel ist die Verherrlichung Gottes dadurch, dass die Herzen der Zuhörer verändert werden: Dass Christen im Glauben wachsen und Nichtchristen Buße tun und sich für ein Leben mit Gott entscheiden. Um den Bibeltext auslegen zu können, muss sich der Prediger selbst mit dem Text beschäftigt haben. Und um den Text auf die Zuhörer anwenden zu können, muss er seine Zuhörer kennen; er muss wissen, wie sie ticken, was sie beschäftigt, wie sie die Welt sehen. Ich glaube, die Voraussetzung für eine ansprechende und zu Herzen gehende Predigt ist, dass der Prediger in der Vorbereitung selbst von Gott angesprochen wurde. Oder wie Timothy Keller es ausgedrückt hat: „Wenn Sie mit Ihrer Predigt die Herzen Ihrer Zuhörer erreichen wollen, müssen Sie aus dem Herzen predigen.“1Timothy Keller, Predigen, S. 157.

Predigtvorbereitung mit ChatGPT?

Wer schon einmal eine Predigt ausgearbeitet und gehalten hat, weiß, wie viel Arbeit und Mühe das macht. Deshalb ist es nicht verwunderlich, wenn man auf den Gedanken kommt, ob denn die technischen Möglichkeiten von ChatGPT nicht die Arbeit etwas erleichtern können. Schließlich nutzt wahrscheinlich nahezu jeder Prediger in seiner Vorbereitung auch andere Technologien, wie das Internet, eine Bibelsoftware, ein Textverarbeitungsprogramm. Warum also nicht auch ChatGPT verwenden? Sicherlich lässt sich dadurch einiges an Zeit einsparen, wenn der Chatbot mir beispielsweise auf Anfrage Erklärungen zu bestimmten Bibelstellen ausspuckt oder sogar ganze Gliederungen für mich erstellen kann. Und wo hat man sonst die Möglichkeit, mit recht einfachen Mitteln auf so viele Informationen zugreifen zu können?

Diese Gedanken kann ich sehr gut verstehen. Und dennoch sehe ich die Verwendung von ChatGPT für die Vorbereitung von Predigten sehr kritisch. Ohne Zweifel erleichtert es viel Arbeit. Aber genau darin sehe ich ein grundsätzliches Problem von Technologie: Sie macht Dinge leicht und schnell verfügbar. Manchmal ist das eine gute Sache. Aber häufig ist es eine Abkürzung, die wir gern nehmen. Im Fall der Predigtvorbereitung heißt das: Ich muss mich nicht mehr selbst tiefgründig mit dem Text auseinandersetzen, ich bekomme sofort alle Antworten auf meine Fragen. Ich muss nicht mehr selbst über einen nachvollziehbaren und logischen Aufbau der Predigt brüten, ich bekomme ihn einfach geliefert. (Mir ist natürlich bewusst, dass all das auch auf andere Technologien wie Bibelsoftware und Kommentare zutreffen kann. Verwendet man diese Hilfsmittel gedankenlos und vorschnell, gilt auch dafür diese Kritik.) Wir berauben uns der Chance des persönlichen Wachstums, wenn wir uns einfach die Ergebnisse liefern lassen, ohne dass wir uns selbst mit dem Problem auseinandersetzen mussten. Natürlich dauert es viel länger, selbst eine Exegese zu einem Bibeltext zu schreiben, schwierige theologische Fragen zu durchdenken und abzuwägen. Aber nur durch das persönliche intensive Beschäftigen mit dem Text, machen wir ihn uns zu eigen, geben wir ihm die Chance, zu uns selbst zu sprechen und werden Jesus ähnlicher. Heiligung funktioniert nicht schnell und ohne Anstrengung; es ist ein langsamer und anstrengender Prozess, der viel persönlichen Einsatz fordert.

Ein weiteres Problem sehe ich bei der Frage, welche Meinungen aus dem Internet der Algorithmus bevorzugt und weitergibt und welche nicht. Wir machen uns abhängig von der programmierten Präferenz einer Künstlichen Intelligenz. Verschärft wird das noch dadurch, dass ChatGPT keine Quellen für seine Aussagen angibt. Also kann man die gelieferten Ergebnisse nicht selbst verifizieren. Bei Kommentaren und Bibelprogrammen weiß ich wenigstens noch, wer der Autor des Textes ist und kann die Aussagen dementsprechend einordnen. Bei ChatGPT entfällt das. Man ist der „Theologie der KI“ und ihren Ansichten ausgeliefert, wie auch immer diese aussehen werden. In einer Zeit, in der viele Sonderlehren gerade übers Internet verbreitet werden und historisch-orthodoxe Theologie in den Hintergrund gedrängt wird, ist das nicht unbedingt ein beruhigender Gedanke.

Diese Probleme sehe ich im Rahmen der Arbeit mit dem Bibeltext. Meine größte Kritik aber ist, dass ChatGPT niemals dem Ziel einer Predigt gerecht werden kann. Denn die KI kennt die Zuhörer nicht. Auch wenn man seine Zielgruppe noch so gut beschreibt, so fehlt dem Algorithmus doch die persönliche Beziehung zu den Menschen, zu denen man predigen wird. Ich als Prediger kenne meine Gemeinde und weiß, in welcher Situation sie gerade steckt. Von einigen Geschwistern weiß ich noch mehr und kenne ihre aktuellen persönlichen Umstände und Probleme. Diese Gesichter habe ich während der Predigtvorbereitung immer wieder vor Augen und bete: „Herr, zeig mir, was diese Leute am Sonntag brauchen. Hilf mir, deine Wahrheit für sie verständlich und relevant zu predigen.“ Eine Predigt ist eben viel mehr als nur ein Vortrag. Sie lebt von der persönlichen Beziehung von Prediger und Gemeinde. Eine künstliche Intelligenz kann niemals eine solche Beziehung haben, geschweige denn damit umgehen. Wenn man sich als Prediger auf einen Algorithmus zur Predigtvorbereitung verlässt, beraubt man der Gemeinde sich selbst.

Zusammenfassend würde ich also sagen, dass die Verwendung von ChatGPT für die Predigtvorbereitung den Prozess der Exegese kurzschließt. Weil man sich nicht mehr intensiv selbst mit dem Text befassen muss, bleibt der geistliche formative Effekt auf den eigenen Charakter und das Angesprochenwerden des eigenen Herzens aus. Und die Verwendung von ChatGPT bei der Predigtvorbereitung kann nicht den individuellen Bedürfnissen einer konkreten Ortsgemeinde gerecht werden, sondern gibt immer nur ein Produkt für eine unscharfe Masse heraus. Um Timothy Kellers o.g. Satz zu missbrauchen: Eine Predigt auf Basis von KI spricht weder zu den Herzen, noch kommt sie von Herzen.

Und jetzt?

Nachdem ich intensiv gegen ChatGPT gewettert habe, möchte ich doch noch versuchen, ein paar versöhnlichere Töne anzuschlagen. Als Ideengeber kann ChatGPT ein durchaus hilfreiches Werkzeug sein. So ist die Gliederung dieses Beitrages zum Beispiel teilweise auf einen KI-generierten Vorschlag zurückzuführen. Es ist durchaus vorstellbar, dass es Einsatzbereiche im gemeindlichen Kontext gibt, in denen ChatGPT eine sinnvolle Hilfe darstellen kann.

Sicher ist aber, dass ein guter und von Weisheit geprägter Umgang gefragt ist. Denn Fakt ist: Diese Technologie ist gekommen, um zu bleiben. Es nützt nichts, die Augen davor zu verschließen und den Geist zurück in die Flasche stopfen zu wollen. Wir müssen also als Christen einen guten Umgang damit finden (wie mit jeder anderen Technologie auch). Dieser wird irgendwo zwischen totaler Ablehnung und gedankenloser Annahme liegen. Wo genau das ist, das weiß ich aktuell auch nicht so genau. Ich wünsche mir, dass wir das gemeinsam herausfinden.

Fußnoten

  • 1
    Timothy Keller, Predigen, S. 157.