Produktiv, aber nicht gestresst

Vor einigen Wochen habe ich darüber geschrieben, dass unsere Leistung uns nicht definiert. Jesus hatte während seines öffentlichen Lebens unglaublich viel zu tun, wirkte dabei aber nie gehetzt. Er war kein Sklave seiner Produktivität. Der Antrieb für sein Wirken kam aus der bereits erhaltenen Bestätigung der Annahme seines Vaters. Wie äußerte sich das praktisch in seinem Leben? Wie sieht dieses produktive und dabei ausgeglichene Leben aus? Markus 1 bietet uns zu dieser Frage noch ein paar mehr Antworten.

In Vers 32 sehen wir, dass nach Sonnenuntergang viele Kranke und Besessene zu Jesus kamen und er sie heilte. Wie lange er damit beschäftigt war, wissen wir nicht. Es steht nur da, dass er „viele“ heilte. Nach einem langen und arbeitsreichen Abend könnte man meinen, dass Jesus am nächsten Morgen erstmal ausschläft. Schließlich hat er es sich verdient. Doch stattdessen lesen wir:

Früh am Morgen, als es noch völlig dunkel war, stand Jesus auf, verließ das Haus und ging an einen einsamen Ort, um dort zu beten. (Mk 1,35)

Nicht nur, dass Jesus nicht ausschläft, er steht sogar besonders zeitig auf! Und warum? Damit er eine Zeit der Ruhe und Stille hat, um mit seinem Vater reden zu können. Hand aufs Herz: Wer von uns würde das tun? Ich gebe zu, ich nicht unbedingt. Dieses Verhalten scheint bei Jesus aber nicht die Ausnahme zu sein, sondern die Regel. Zum Beispiel lesen wir in Markus 6 nach der Speisung der 5000, dass Jesus noch am selben Abend, als es auch schon recht spät war, nach einem sehr anstrengenden Tag allein auf einen Berg geht, um zu beten. Die Regel von Jesus scheint zu lauten: „Immer wenn ich besonders viel zu tun hatte, brauche ich erstmal eine Zeit der Stille mit meinem Vater.“ Ist das auch unsere instinktive Reaktion? Ich glaube nicht. Wenn ich von mir ausgehe, dann suche ich mir nach einem anstrengenden Tag standardmäßig erstmal etwas Entspannung oder Zerstreuung. Das sind aber eigentlich eher Ablenkungs- oder Verdrängungsmechanismen, die mir helfen sollen den Stress zu vergessen. Nun, ich möchte hier nicht prinzipiell gegen YouTube, Social Media, Smartphones, Computerspiele, Filme etc. herziehen. Wir dürfen diese Medien nutzen, auch einfach zum Abschalten. Das Problem entsteht meiner Meinung nach da, wo diese Dinge unsere Standardantwort auf einen vollen Tag werden. Wenn wir Ruhe und Entspannung zuerst von diesen Dingen erwarten anstatt von Gott. Wenn wir lieber Zeit vor dem Smartphone, Computer oder Fernseher verbringen anstatt mit Gott. Natürlich hat er uns diese Geräte auch zum Zweck der Entspannung gegeben, aber sie dürfen nicht der Ersatz für ihn sein. Echte Ruhe finden wir nur bei ihm. Neue Kraft für unsere Aufgaben finden wir nur bei ihm.

Ebenso darf ein voller Tag keine Ausrede sein, um die morgendliche Zeit mit Gott ausfallen zu lassen. Ich weiß, nicht jeder ist ein Morgenmensch. Mancher ist froh, dass er früh überhaupt rechtzeitig aus dem Bett und zur Arbeit kommt. Ich verstehe das (und meine Frau noch viel besser). Lass dich dennoch herausfordern in irgendeiner Weise am Morgen Zeit mit Gott zu verbringen. Mir ist ein Holzschild über der Tür der Wohnung meiner Großeltern noch sehr gut in Erinnerung: „Ohne Gebet und Gottes Wort gehe nie aus deinem Hause fort.“ Das ist kein Gesetz, „weil das ein guter Christ eben so macht“. Sondern es ist viel mehr eine lebensspendende Praxis. Ich bin ein Morgenmensch. Ich wache auf und sofort habe ich gefühlt 1000 Gedanken im Kopf, was man heute alles machen müsste und könnte. Und am liebsten würde ich sofort damit beginnen (zumindest mit den schönen Aufgaben). Für mich bedeutet in dieser Situation Selbstverleugnung, dass ich diese Dinge eben nicht sofort angehe, sondern zuerst meine „Verabredung mit Gott“ einhalte, obwohl ich darauf grad keine Lust habe. Andere werden sich selbst verleugnen und ihr Kreuz auf sich nehmen müssen, indem sie sich eine viertel oder halbe Stunde eher aus dem Bett quälen und der „Bettanziehungskraft“ widerstehen, um so noch eine kurze Andacht machen zu können.

Sich Zeit mit Gott zu nehmen, bevor der Trubel des Tages auf einen einbricht, ist aus mehreren Gründen wichtig: Erstens, mache ich mir dadurch bewusst: Gott ist Gott und ich bin es nicht. Nur er ist allmächtig und seine Kraft hört nie auf. Ich dagegen weiß nicht alles, kann nicht alles und bin schnell erschöpft. Wenn ich also meinen Tag angehe, bin ich völlig von ihm abhängig. Passend dazu habe ich vor Kurzem in meiner Stillen Zeit Psalm 127 gelesen, der sehr gut diese innere Haltung verdeutlicht:

Wenn der HERR das Haus nicht baut, arbeiten seine Erbauer vergebens daran.
Wenn der HERR die Stadt nicht bewacht, wacht der Wächter vergebens.
Vergebens ist es für euch, dass ihr früh aufsteht, euch spät niedersetzt, das Brot der Mühsal esst.
So viel gibt er seinem Geliebten im Schlaf.
(Psalm 127,1-2)

Der Psalmist drückt das sehr passend aus: Ohne Gottes Hilfe sind unsere besten Anstrengungen nichtig. Auf uns allein gestellt können wir nichts vollbringen – auch wenn uns das oft nicht bewusst ist.

Zweitens fokussiere ich mich durch diese Zeit auf Gott und seinen Willen. Ich habe viel vor, habe eine Agenda mit Dingen, die wichtig sind. Aber was ist eigentlich Gott wichtig? Was will er, das ich tue? Jesus hat die Zeiten der Stille mit seinem Vater genau für diese Ausrichtung und Neufokussierung genutzt. Charles Hummel schreibt in Die Tyrannei des Dringlichen zu Jesu Rückzug in die Stille in Markus 1,35: Jesus „wartete betend auf die Anweisungen seines Vaters und auf die Kraft, um diese auszuführen. … Er entdeckte den Willen seines Vaters Tag für Tag neu im Gebet. Hierdurch schirmte er sich vor dem Dringenden ab, führte das wirklich Wichtige zu Ende.“ Deutlich wird das durch seine Antwort an Petrus. Als seine Jünger ihn endlich finden, sagen sie ihm, dass alle Menschen in Kapernaum ihn suchen. Wahrscheinlich, weil es noch mehr Kranke gab, die geheilt werden wollten. Aber Jesus sagt: „Lasst uns von hier weggehen in die umliegenden Ortschaften, damit ich auch dort die Botschaft vom Reich Gottes verkünden kann; denn dazu bin ich gekommen.“ (V. 38)

Jesus geht mit einem geschärften Fokus für die wirklich wichtigen Dinge aus seiner Zeit mit Gott. Er weiß, was seine Mission ist, er kennt seinen Auftrag. Und deshalb kann er auch ruhigen Gewissens die suchende Menge zurücklassen und in andere Orte gehen. Wir hätten wahrscheinlich das große Interesse und die Nöte der Menschen in Kapernaum so gedeutet, dass wir noch länger hierbleiben und uns um sie kümmern sollten. Wir würden vielleicht sagen: „Eine große Tür hat sich uns aufgetan.“ Jesus aber wusste, dass sein Auftrag nicht primär darin besteht Kranke zu heilen. Sondern er kam, um den Menschen die gute Botschaft vom Reich Gottes zu verkünden. Heilungen waren dabei nur unterstützende Nebentätigkeiten.

In diesem Zusammenhang lässt sich, denke ich, auch das Schweigegebot an den geheilten Aussätzigen in V. 44 einordnen. Jesus hatte eine Mission und er wollte nicht, dass diese behindert wird. Er wollte nicht, dass die Leute in ihm nur einen „Wunderheiler“ sehen und nur deshalb zu ihm kommen, um von ihm gesund gemacht zu werden. Wie schon gesagt, seine Mission war nicht, so viele Menschen wie möglich körperlich gesund zu machen. In diesem Fall wäre das Verbreiten der Heilungswunder gut gewesen. Jesus wollte den Menschen die gute Botschaft verkünden, nicht nur sie körperlich heilen. Wie wir in V. 45 sehen, hatte das Ignorieren des Schweigegebots negative Auswirkungen auf Jesu Dienst. In V. 38 sagte er noch, dass er in die umliegenden Orte gehen will. Dann aber wurde Jesus durch die Erzählungen des Geheilten zu solch einer „Attraktion“, dass er nicht mehr öffentlich in irgendwelche Städte gehen konnte. Das, was er eigentlich tun wollte, war nun für eine Zeit nicht möglich.

Wir sehen also, dass das Zentrum im Leben von Jesus die regelmäßige Zeit mit Gott ist. Diese ist ihm so wichtig, dass er dafür lieber auf Schlaf verzichtet. Jesus nimmt sich bewusst „unproduktive“ Zeiten der Stille. Er weiß, dass er wirkliche Ruhe nur bei Gott findet. Und er weiß, dass er die Gemeinschaft mit seinem Vater braucht und das Ausrichten auf ihn, um fokussiert das zu tun, was wirklich wichtig ist, nicht das, was gerade dringend erscheint oder am lautesten schreit. Martin Luther soll gesagt haben: „Wenn ich besonders viel zu tun habe, dann muss ich am Tag mindestens zwei Stunden beten.“ Das erscheint uns oft völlig irrsinnig und im wahrsten Sinn des Wortes kontraproduktiv. Was man alles in den zwei Stunden schaffen könnte! Aber Luther hatte verstanden, was wir schon bei Jesus sehen: Echte Produktivität zeigt sich nicht darin so viel wie möglich zu schaffen. Sondern in dem, dass man die wirklich wichtigen Dinge tut. Und für diese Unterscheidung brauchen wir die Weisheit Gottes und seine Sicht auf unser Leben. Ich wünsche mir, dass sich die Einsicht tief in mir verankert, dass Zeit mit Gott wichtiger ist als alle erledigten Aufgaben. Und dass die Zeit mit Gott mir letztlich sogar hilft, meine Aufgaben zu erledigen.


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