Über Daniel und Ester

Daniel steht im Exil zu seinem Glauben. Er lebt ihn öffentlich und ist bereit für ihn zu sterben. Frisch verschleppt teilt er dem Aufseher mit, dass er und seine Freunde nicht die für sie geplante Nahrung möchten. Als der König Nebukadnezar alle Weisen und Sterndeuter umbringen lassen will, weil sie seinen Traum nicht erzählen und deuten können, geht er sofort zum König und erbittet sich eine Frist, obwohl er selbst zu diesem Zeitpunkt weder den Traum noch die Deutung kennt. Als alter Mann ist seine erste Reaktion auf eine Verordnung, die jeden Gottesdienst unter Strafe stellt, dass er zuhause vor dem offenen Fenster betet, wie er es auch immer schon gemacht hat.
Ester lebt zwar auch im Exil, aber sie scheint viel mehr mit der Kultur verschmolzen zu sein. Ihr Name ist möglicherweise von der Göttin Ishtar abgeleitet und obwohl die Juden schon längst wieder nach Jerusalem hätten zurückkehren können, ist sie noch in Susa. Sie nimmt es mit den Geboten Gottes scheinbar nicht so ernst und nimmt am Schönheitswettbewerb des Königs teil, einer Mischung aus Germany’s Next Topmodel und Der Bachelor. Am Ende der monatelangen Schönheitskur, der sie unterzogen wird, steht der Sex mit dem König, der entscheidet, ob sie die neue Königin wird oder nicht.
Als den Juden Gefahr droht, versucht sie zunächst die Sache im Palast auszusitzen. Sie scheint sich sogar für ihren trauernden Ziehvater (und Cousin) Mordechai zu schämen, weil sie ihm „ordentliche“ Kleidung senden lässt. Sie versucht so lange wie möglich die Verantwortung von sich wegzuschieben und wird erst aktiv, als sie nicht mehr anders kann.

Vielleicht liegt der Unterschied unter anderem darin begründet, dass Daniel die Zeit vor dem Exil kannte. Er kannte Jerusalem, den Tempel und den Gottesdienst. Für ihn war das Exil etwas komplett anderes. Als er in diese neue Situation geworfen wird, fällt er auf seine alten bestehenden Glaubensüberzeugungen zurück. Er erkennt deutlich das gottlose und gottfeindliche in der babylonischen Kultur und will sich nicht davon anstecken lassen.
Ester dagegen wurde mitten in dieses Umfeld hineingeboren, ca. 100 Jahre nach Daniel. Für sie waren die persische Kultur und ihr Götzendienst Standard und gewohntes Umfeld. Wie sehr ihre Eltern ihr den jüdischen Glauben nahegebracht haben, wissen wir nicht. Aber auf alle Fälle ist es sehr viel schwerer, gegen etwas vorzugehen, von dem man selbst ein Teil davon und das alles für einen einfach nur natürlich ist. Wie schon Pascal gesagt hat, wenn man mitten in der Bewegung steckt, dann bewegt sich scheinbar gar nichts. „Wenn alle der Maßlosigkeit entgegentreiben, scheint keiner dahinzutreiben.“1Blaise Pascal, Gedanken, Köln 2011, S. 50. Es braucht viel mehr Kraft und Anstrengung einen objektiven Blick auf das Geschehen zu werfen. Vielleicht braucht deshalb Ester so lange, bis sie sich entschließt selbst aktiv für die Rettung ihres Volkes zu werden.

Das gleiche Prinzip gilt auch für uns. Ein besonders anschauliches Beispiel ist für mich die technologische Entwicklung. Ältere Menschen sind oft nicht nur weniger „modern“ in ihrer Nutzung von Technologie und Medien. Sie haben auch einen ganz anderen Blick darauf als Jüngere. Sie kennen noch die Zeit, in der Computer ganze Räume ausgefüllt haben, als man zum Telefonieren noch in die einzige Telefonzelle des Ortes gehen musste und man aus der Tageszeitung das Geschehen im Umfeld und der Welt mitbekommen hat. Jüngere Menschen (und ich auch) kennen das gar nicht mehr. Für uns sind Computer und Internet die totale Selbstverständlichkeit. Jeder hat seinen eigenen Rechner, der möglichst leicht und portabel ist, ein Smartphone, das eigentlich ein eigener Computer ist und wir sind ständig mit aller Welt vernetzt und verbunden. Und wenn alle immer mehr Zeit am Smartphone verbringen und alle immer mehr über Social Media kommunizieren, dann fällt uns diese Entwicklung auch gar nicht auf, denn alle machen es ja so.
Ich glaube, dass wir als Christen viel aufmerksamer sein müssen, in welche Richtung wir uns bewegen. Wie die Kultur um uns herum ist und welche Werte sie vertritt. Gerade weil Christen letztlich „Bürger des Himmels“ sind, haben wir die Chance innezuhalten und unsere Gesellschaft objektiv zu betrachten. Und das soll auch auf keinen Fall bedeuten, dass wir deshalb aus der Kultur aussteigen sollen! Im Gegenteil! Wir leben in einer bestimmten Zeit und Kultur und das dürfen wir auch nicht verleugnen. Aber unser Glaube prägt den Umgang mit unserer Gesellschaft, nicht anders herum. Dass das funktioniert; dass man kompromisslosen Glauben in einer relativistischen Kultur leben kann, zeigt Daniel. Er lebte mitten in der babylonischen Gesellschaft, hatte dort einen Psoten in der Regierung und war so erfolgreich, dass er immer wieder befördert wurde. Und bei alledem stand er fest zu seinem Glauben und wich nicht davon ab und weichte ihn nicht auf, um weniger anzuecken. Aber nur so konnte er einen echten Unterschied machen. Er war in einer Position, in der sein Wort Gewicht hatte. Soweit wäre er nicht gekommen, wenn er sich in eine jüdische Enklave in Babylon zurückgezogen hätte. Aber weil sein Glauben an Gott ihn mehr bestimmte als seine Gesellschaft, konnte er die Fehlentwicklungen klar erkennen und deutlich ansprechen. Und somit den König von Babylon immer näher zum Gott Israels führen.

Fußnoten

  • 1
    Blaise Pascal, Gedanken, Köln 2011, S. 50.

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