Meine Gedanken zu Ravi Zacharias

Am 11.02. veröffentlichte RZIM den Untersuchungsbericht zusammen mit einem offenen Brief zu den eventuellen sexuellen Vergehen ihres Gründers Ravi Zacharias. Zacharias war im Mai 2020 gestorben und nicht lange danach kamen (nicht zum ersten Mal) Anschuldigungen mehrerer Massage-Therapeuten an die Öffentlichkeit, die in der Vergangenheit Zacharias behandelt hatten. Es ging um sexuelle Belästigung und emotionalen und geistlichen Missbrauch. Damals konnte ich diese Anschuldigungen kaum glauben, machte doch Ravi Zacharias immer den Eindruck einer höchst gläubigen, integren und demütigen Person. RZIM ordnete eine unabhängige Untersuchung an. Schon vor Weihnachten 2020 gab es das vorläufige Ergebnis, dass die Anschuldigungen nicht aus der Luft gegriffen waren und es tatsächlich starke Anzeichen für schweres Fehlverhalten seitens Zacharias gab. Nun wurde also der endgültige Bericht veröffentlicht und das Ergebnis ist schlimmer als erwartet. Ich habe mir alle zwölf Seiten des Reports durchgelesen und war schockiert von dem Ausmaß der aufgedeckten Sünde, in jeder Hinsicht. Ravi Zacharias hat über viele Jahre hinweg seine Stellung und Macht benutzt, um (hauptsächlich) seine verschiedenen Masseusen zu unterschiedlichen sexuellen Handlungen zu bewegen. Er führte sie absichtlich in ein Abhängigkeitsverhältnis, um so Macht über sie ausüben zu können. Er verwendete Spendengelder, um diesen Frauen verschiedene Möglichkeiten und Weiterbildungen zu finanzieren und sie so weiter an sich zu binden. Er vertuschte hartnäckig seine Taten vor Kollegen (und sicherlich auch Familie), beanspruchte eine Sonderbehandlung was zum Beispiel die Nutzung elektronischer Geräte in der Organisation anging und erstickte kritische Nachfragen zu seinen Praktiken, indem er entsprechende Mitarbeiter mundtot machte.

Diese Enthüllungen treffen mich wirklich tief. Zum einen, weil Ravi Zacharias eine entscheidende Rolle in meinem Interesse an der Apologetik gespielt hat. Seine Vorträge haben mir geholfen zu sehen, dass der christliche Glaube vernünftig verteidigt werden kann und gute Antworten auf kritische Einwände andere Weltanschauungen hat. Ich habe vor einem Jahr mit viel Freude und großem Gewinn an seinem Einsteiger-Onlinekurs teilgenommen. Einen für mich so einflussreichen Menschen nun auf diese Art und Weise entzaubert zu sehen, verletzt mich sehr. Aber mein persönlicher „Schmerz“ (wenn man das überhaupt so bezeichnen kann) ist nichts im Vergleich zu dem Leid, das Ravi Zacharias unglaublich vielen Frauen zugefügt hat. Die von ihm für seine eigenen Triebe benutzt wurden. Die auf einer viel tieferen, intimeren Ebene von diesem Mann, dem sie vertrauten, verletzt wurden. Und mich macht es unglaublich traurig, wenn ich mir überlege, welche Auswirkungen diese Enthüllungen auf Nichtchristen haben und das Bild, das sie nun vom Christentum haben. Paulus schreibt in 1. Timotheus 3,7, dass ein Leiter ein gutes Zeugnis nach außen haben muss, damit nichts Übles über ihn geredet wird. Dieses Gerede wird nun sicherlich aufkommen. Ravi Zacharias, der große Verteidiger des christlichen Glaubens, bringt nun posthum durch sein Verhalten den christlichen Glauben in Verruf. Und genau das tut mir unglaublich weh.
Zacharias erzählte mehrmals in seinen Vorträgen und Predigten die Geschichte von einer ungläubigen Frau, die von ihrem Nachbarn zu einer Veranstaltung mit Ravi mitgenommen wurde. Als sie danach gefragt wurde, wie sie es denn fand, sagte sie: „Mich würde interessieren, wie er [Ravi Zacharias] im Privaten ist.“ Ravi zog die Begebenheit immer als Beispiel dafür heran, dass unsere Worte mit unseren Leben übereinstimmen müssen. Dass die Menschen sehen wollen, dass wir integer sind. Es bricht mir das Herz zu sehen, wie Ravi Zacharias nun selbst das Antibeispiel für seine Lehre ist.
Mir soll es aber nicht in erster Linie darum gehen mit dem Finger auf Ravi Zacharias zu zeigen und was er doch für ein heuchlerischer Mensch war. Sein Fall beinhaltet eine harte und extrem wichtige Wahrheit für alle Christen und vor allem für christliche Leiter: Niemand ist sicher vor Versuchung und Sünde. Niemand ist egal wie alt so weit in seiner Heiligung fortgeschritten, dass er nicht doch in Sünde fallen könnte. Paulus schreibt in 1. Korinther 10,12: „Wer zu stehen meint, sehe zu, dass er nicht falle.“ Diesen Vers hat mir vor einigen Jahren mal meine Mutter gesagt. Damals habe ich das etwas abgetan, weil ich eben der Meinung war, dass ich schon nicht fallen werde. Aber diesen Hochmut konnte und kann ich mir nicht leisten. Ich bin genauso wenig sicher vor Versuchung und Sünde wie irgendjemand anders. Ravis moralisches Versagen macht mir deshalb auch in nicht geringem Maße Angst. Wenn so ein „großer“ Christ so spektakulär fallen kann, wie viel mehr dann ich? Ich kenne mein Herz und meine sündigen Tendenzen und wie leicht ich versuchbar bin.

Was sind nun die praktischen Lektionen aus dieser herzzerreißenden Situation? Ich will mich hier auf zwei Anwendungen beschränken.
Setze dein Vertrauen auf Jesus, nicht auf Menschen. Menschen werden uns immer wieder enttäuschen. Auch geistliche Leiter (und mögen sie noch so weise und angesehen sein) sind nicht immun gegen Sünde. Wenn wir sie zum Zentrum unseres Glaubens machen, dann führt ihre Entzauberung zu unserer Glaubenskrise. Aber diese Leute haben uns nicht gerettet, das hat Jesus. Verschiedene Menschen mögen uns zum Glauben geführt haben, aber das Fundament unseres Glaubens ist Jesus. Und er wird uns nie enttäuschen. Bei ihm gibt es keine Entzauberung, keinen Schatten. Bei ihm haben wir einen sicheren Grund unseres Glaubens. Wir können und werden trauern und bestürzt sein über die Sünde von Menschen, zu denen wir aufgeblickt haben. Aber wir werden dadurch nicht den Glauben verlieren. Ravi Zacharias stand im Zentrum seiner Organisation (und war ja auch der Namensgeber). Der deutschsprachige Ableger, das Zacharias Institut, hat bereits angekündigt, einen neuen Namen zu wählen. Diesen Schritt finde ich richtig und es verdeutlicht auch das Prinzip, dass nicht eine Person das Zentrum der Unternehmungen ist, sondern Jesus und das Evangelium.
Prüfe dich selbst, wie du im Glauben stehst. Wie ich bereits sagte, wenn ein Mann wie Ravi Zacharias fallen kann, dann können wir es auch. Was sind unsere „Lieblingssünden“, die wir nicht lassen können (oder wollen), die wir am liebsten im Dunkeln belassen? Die Dunkelheit ist der beste Nährboden für Sünde. Wir müssen konsequent Sünde ins Licht vor Gott und Menschen bringen, um ihre Kraft zu brechen. Jesus sagt, dass wir radikal gegen Sünde in unserem Leben vorgehen sollen. Besser, nur noch eine Hand zu haben, als das Reich Gottes zu verpassen. Besser, auf Social Media, TV, Smartphone, ungefilterten Internetzugang zu verzichten, als das Reich Gottes aufs Spiel zu setzen.

Was geschehen ist, ist furchtbar. Es kann nicht ungeschehen gemacht werden. Ich hoffe, dass RZIM die richtigen Schlüsse zieht. Ich hoffe, dass Vergebung und Wiedergutmachung, soweit es möglich ist, geschieht. Ich bete, dass auch ich die richtigen Schlüsse für mich und mein Glaubensleben ziehe. Und ich bete, dass aus diesen dunklen Enthüllungen Gottes Licht und Evangelium hervorbricht und sein Name groß gemacht wird.

„Nicht uns, HERR, nicht uns, sondern deinem Namen gib Ehre!“

Psalm 115,1

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