Die falsche Person für den Job

Virginia Hall hatte es nicht leicht als Frau in einer von Männern dominierten Welt. Vor ungefähr 100 Jahren versuchte sie in den diplomatischen Dienst einzusteigen. Die Befähigung dazu hatte sie allemal. Aber damals war es nicht üblich, dass Frauen in diesen Kreisen einen anderen Job machten als den der Sekretärin. Obwohl das nicht ihr eigentliches Ziel war, verrichtete sie diese Arbeit. Immer auch mit dem Ziel befördert zu werden und wichtigere Aufgaben zu übernehmen. So war sie vor dem Zweiten Weltkrieg in verschiedenen europäischen Ländern im Einsatz. Und dann verlor sie durch einen Unfall bei einem Jagdausflug das linke Bein. Nun war sie auch noch ein Krüppel mit einem Holzbein.

Aber diese wiederholten Enttäuschungen und Rückschläge konnten Virginia nicht aufhalten. Als der Zweite Weltkrieg ausbrach, blieb sie in England und wollte als Undercover-Agentin nach Frankreich eingeschleust werden. Wieder musste sie sich gegen die Skepsis und das Misstrauen der Verantwortlichen durchsetzen. Eine Frau als Geheimagentin und dann noch mit nur einem Bein! Damit hatte sie kaum eine Überlebenschance im von den Nazis besetzten Frankreich. Sie hatte zwar nicht die Fähigkeiten, die normalerweise erwartet wurden, dafür jedoch eine starke Motivation und Antrieb. Seitdem sie durch ihre frühere Arbeit eine Zeit lang in Frankreich eingesetzt war, hatte sie eine tiefe Liebe für das Land und seine Menschen. Deshalb tat es ihr im Herzen weh zu sehen, wie dieses Land und diese Leute nun zerstört und besiegt waren.

Dieser Antrieb machte sie zum fähigsten und produktivsten Agenten, den die Briten nach Frankreich einschleusen konnten. Unter dem Deckmantel einer amerikanischen Journalistin hielt sie länger in Frankreich aus als die meisten ihrer männlichen Kollegen. Sie baute mehrere Widerstandszellen auf und wurde zur ersten Anlaufstelle für neue Agenten. Als der Boden dann doch zu heiß wurde und sie fliehen musste, war die einzige Möglichkeit zu Fuß über die Pyrenäen nach Spanien zu gelangen – im Winter. Eine Strecke, die schon manchen Männern zum eisigen Grab geworden war. Aber sie kämpfte sich mit ihrem Holzbein durch Schnee und über Pässe. Und als sie in Sicherheit war, war ihr einziger Gedanke, wie sie schnell wieder nach Frankreich zurückkehren könnte.

Sie bildete bei einem zweiten Einsatz mehrere Widerstandsgruppen aus und versorgte sie mit Equipment. Wer mit ihr zu tun hatte, sagte später rückblickend auf diese Zeit, dass sie das Leben derer, die in ihrer Nähe waren, besser gemacht hat. Sie war ein Lichtblick, ein Hoffnungsschimmer für die Franzosen. Das alles kam aus ihrer tiefen „Liebe zu Frankreich“ und den Menschen dort. Sie waren es wert, dass sie diese Opfer brachte.

Als ich die Geschichte dieser bemerkenswerten Frau las, musste ich auch an Jesu Auftrag an seine Nachfolger denken. Oder eher daran, wie wir Christen oft eher manchen weniger erfolgreichen Kollegen Virginia Halls gleichen. So wie einige dieser Agenten versuchten einfach gut in Frankreich über die Runden zu kommen, nicht entdeckt zu werden und vor allem neben der Arbeit so viele Annehmlichkeiten wie möglich zu genießen, so verhalten auch wir uns manchmal. Ich sogar ziemlich oft. Hauptsache, mir gehts gut und meine Interessen bleiben gewahrt. Sicherlich ist es unser Ziel, dass andere Menschen Jesus kennenlernen, aber das soll keine Belastung darstellen. Was wir dabei oftmals vergessen, ist, dass wir uns (wie Virginia Hall) im Krieg und im vom Feind besetzten Territorium befinden! Wir haben einen größeren Auftrag, ein besseres Ziel, eine belastbarere Motivation als sie. Wir sind dazu aufgefordert alle Menschen zu Jüngern zu machen. Unsere Arbeit hat ewige Konsequenzen. Und unser Auftraggeber ist Gott selbst. Wir sind von ihm berufen, von ihm ausgesandt.

Christen sollen ein Licht in dieser Welt sein. Die Kämpfer der Résistance sagten später, dass Virginia Licht in ihr Leben brachte. Das gleiche sollen auch die Menschen aus unserem Umfeld über uns sagen können. Dass unsere Anwesenheit ihre Leben etwas besser gemacht hat. Hoffentlich nicht nur „etwas besser“, sondern komplett neu, für die Ewigkeit besser. Aber selbst wenn sie Jesus nicht annehmen, sollen sie etwas von unserem Licht gesehen haben.

Mit einem großen Auftrag in einem vom Feind besetzten Gebiet zu leben, ist keine leichte Aufgabe. Es ist nur allzu verständlich, wenn Christen sich ungeeignet fühlen, Salz und Licht in ihrem Umfeld zu sein. Das sollen doch mal lieber die machen, die dafür besser begabt sind. Die eine andere Persönlichkeit haben, denen der Kontakt zu Menschen leichter fällt usw. Mir geht es auch oft so. Für mich ist das ein Job, den die Profis übernehmen sollen. Die Leute, die dafür begabt sind.

Aber es ist falsch zu denken, dass Gottes Auftrag nur für bestimmte begabte Christen gilt! Wie heißt es so schön: Gott beruft nicht die Begabten, sondern er begabt die Berufenen. Wenn Gott uns einen Auftrag gibt, dann stellt er auch die notwendigen Mittel dafür bereit. Gott sagt nicht: „Sei ein Licht in deinem Umfeld. Ich weiß zwar, dass du es eh nicht schaffst, aber gib einfach dein Bestes.“ Das ist Quatsch. Er gibt uns alles, was wir für seinen Auftrag brauchen. Letztlich gibt er sich selbst. Der Heilige Geist wohnt in uns und verändert uns. Sicherlich fühle ich mich nicht immer fähig. Das heißt aber nicht, dass ich nicht von Gott befähigt bin. Die Geschichte ist voller ganz gewöhnlicher Menschen, durch die Gott etwas ungewöhnlich Großes bewirkt hat. Über die meisten Missionare, Gemeindegründer, Pfleger, Helfer, gute Nachbarn usw. werden keine Biografien geschrieben. Aber sie sind es, die – motiviert von Gottes Auftrag und der „Liebe zu den Menschen“ – einen nachhaltigen Unterschied an dem Ort machen, wo sie von Gott hingestellt wurden.


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