Ist wirklich jeder willkommen?

Dem christlichen Glauben wird immer wieder vorgeworfen, dass er Menschen ausschließe. Und wer andere Leute ausschließt anstatt annimmt, ist Gift für unsere Gesellschaft. Sicher wäre es toll, wenn es keine Ausgrenzung mehr gäbe. Wenn immer jeder dazugehört, man sich gegenseitig annimmt und einfach tolerant ist. Das ist schließlich das Zeichen echter Liebe. Und weil Gott Liebe ist und Christen auf keinen Fall lieblos erscheinen wollen, werden Grenzen abgebaut und jeder willkommen geheißen, so wie er ist. Ganz nach dem Motto: „Come as you are…“

Jedoch ist es leider so, dass die gewünschte totale Toleranz praktisch nicht funktioniert. Wenn jede Gruppe völlig offen für alle Menschen ist, hört sie auf, eine erkennbare Gruppe zu sein. Dann ist sie nur noch eine beliebige Ansammlung von Leuten. Aber das Gemeinsame und Verbindende fehlt dann. Eine Gruppe entsteht dadurch, dass sie sich nach außen hin abgrenzt. Ein Beispiel: Ein Fußballverein zeichnet sich dadurch aus, dass sich hier Menschen zum Fußballspielen treffen (auch wenn man bei manchen Clubs den Eindruck haben kann, das Verbindende ist das gemeinsame Biertrinken). Wenn nun ein Schachspieler in diesen Club eintreten will, gibt es zwei Möglichkeiten: Entweder er lässt für die Zeit im Fußballverein das Schachspielen bleiben und spielt stattdessen Fußball mit den anderen, auch wenn er eigentlich viel lieber Schach spielen würde. Oder aber der Verein nimmt ihn freudig auf und setzt statt des Trainings ein Schachturnier an. Im ersten Fall kann der Verein als exklusiv dargestellt werden, weil er den Schachspieler nicht mit seinen Interessen annimmt. Im zweiten Fall jedoch hört der Verein über kurz oder lang auf ein Fußballverein zu sein. Sein definierendes Merkmal geht verloren. Selbst wenn der Club noch so tolerant gegenüber den anderen Interessen des Schachspielers sein will, kann er das nicht tun, ohne seine eigene Zielsetzung aufzugeben.

Genau dieses Phänomen lässt sich aktuell in vielen Kirchen und Gemeinden beobachten. Man will tolerant und inklusiv sein. Und deshalb ist jeder willkommen, so wie er ist. Das ist erstmal nicht schlecht, sondern sehr gut, ja sogar biblisch! Das Problem ist dann aber, dass man an diesem Punkt stehen bleibt. Es ist toll, dass du bist wie du bist und so akzeptieren wir dich und nehmen dich an. Von Umkehr und Veränderung ist keine Rede. Dass der christliche Glaube immer anders aussieht als eine weltliche Gesellschaft, wird größtenteils ignoriert. Aber ich glaube, dass sich dadurch die Kirchen und Gemeinden in der Beliebigkeit verlieren. Was verbindet denn die Leute dort noch? Was ist der Unterschied dieser Christen zur Gesellschaft um sie herum? Diese werden immer marginaler. Und wenn es kaum noch Unterschiede gibt, warum soll man dann noch Christ werden? Andererseits gibt es Kirchen und Gemeinden, die besonders darauf achten, dass nur die „richtigen“ Personen dazukommen. Da muss Kleidungs- und Musikstil passen und nur, wer wirklich in allem mit den Standpunkten der Gemeinde übereinstimmt, bekommt Einlass. Und so entsteht ein exklusiver Haufen, der zwar ganz genau weiß, was ihn verbindet (und meist noch besser weiß, was ihn von den Anderen abgrenzt), aber so die Hürde für Außenstehende nahezu unüberwindbar hoch aufstellt. Wirklich einladend ist das dann nicht. Und biblisch ist es auch nicht.

Ist also das Christentum ausgrenzend oder inklusiv? Die Antwort ist ganz klassisch: Ja!
Ja, der christliche Glaube ist ausgrenzend. Es können nicht alle beliebig dazugehören. Schon Jesus, der ja für viele das große Vorbild in Sachen Nächstenliebe und Toleranz ist, wies einige Leute ab, die gern zu seinem Jüngerkreis dazugehören wollten. Er lässt den geheilten Besessenen aus dem Zehnstädtegebiet nicht mit ihm mitziehen. Stattdessen soll er in seiner Heimat bleiben (Mk 5,18-19). Einen willigen Nachfolger schreckt Jesus mit der Aussicht auf unsichere Lebensumstände ab (Lk 9,57-58). Und wieder einen anderen lässt er mit der Aussage stehen, dass zögerliche Leute ungeeignet für das Reich Gottes sind (Lk 9,61-62). Außerdem trifft er die wohl intoleranteste Aussage von allen, nämlich „niemand kommt zum Vater als nur durch mich.“ (Joh 14,6) Damit schließt er zwangsläufig jeden Menschen aus, der ihm nicht nachfolgt. Es sollte uns also nicht verwundern, dass der christliche Glaube exklusiv ist. Denn schließlich hat Jesus selbst diese Abgrenzung getroffen.
Gleichzeitig gilt aber auch: Ja, der christliche Glaube ist inklusiv. Wie das? Als Beweis dafür soll ein Blick auf die zwölf Jünger von Jesus gelten. Wenn man sich die Auflistung ansieht, dann steht man vor einem kunterbunten Mix der Jobs, Stände und Ideologien. Unter Jesu Jüngern gibt es einige Fischer. Andreas und Petrus waren wohl selbstständig. Jakobus und Johannes arbeiteten mit bei ihrem Vater und ihnen schien es so gut zu gehen, dass sie noch weitere Angestellte haben konnten. Man könnte diese Leute also als Handwerker bezeichnen. Man kann gut davon leben, aber wirklich reich ist man von dieser Arbeit wahrscheinlich auch nicht geworden. Matthäus war vor seiner Berufung ein Zöllner gewesen. Also aus heutiger Sicht ein Büroarbeiter (wenn es damals schon Büros gegeben hätte). Und man kann damit rechnen, dass er durch die Zolleinnahmen ein hübsches Sümmchen verdiente. Die meisten Jünger kamen aus unterschiedlichen Teilen Galiläas, aber Judas stammte aus Kariot in Judäa (deshalb „Judias Iskariot“). Simon Petrus fiel vor allem durch sein schnelles Mundwerk und sein Voranpreschen auf; Thomas dagegen durch sein Abwägen (wenn nicht sogar Pessimismus) und seine Vorsicht. Matthäus machte als Zöllner von Berufswegen gemeinsame Sache mit den römischen Besatzern. Dagegen hatte Simon der Zelot es sich zum Ziel gesetzt, ebenjene Besatzer aus dem Land zu jagen, wenn es sein muss auch mit Waffengewalt. Alle diese Männer hätten wohl nie etwas miteinander zu tun gehabt, jedenfalls nicht in gemeinsamer Sache. Bei Jesus kommen sie zusammen und werden verändert. Nach der Auferstehung Jesu sind die Jünger kaum wiederzuerkennen. Als geschlossene Gruppe verkünden sie das Evangelium, eine absolut unglaubliche und kontrakulturelle Botschaft. Sie rufen zur Umkehr auf und gleichzeitig leben sie ein Leben, das so attraktiv ist, dass sich viele Menschen davon angezogen fühlen. Schnell umspannt die erste Gemeinde verschiedene soziale Schichten und wenig später auch verschiedene Kulturen und Nationen.

Ja, der christliche Glaube ist eine exklusive Gemeinschaft, aber er ist die „inklusivste exklusive Gemeinschaft“, die es gibt. Jesus vereint die Menschen unabhängig ihrer sonstigen Ansichten, ihres sozialen Standes, Alters, Kultur, Nation usw. Keine andere Gemeinschaft kann das von sich behaupten. Und es macht ja auch Sinn. Wenn das „Eintrittskriterium“ nichts weiter ist als das Eingestehen der eigenen Sündhaftigkeit und die Annahme der Vergebung von Jesus, dann kann letztlich jeder Mensch dazugehören. Sozusagen: „Come as you are but don’t stay as you are.“


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