Tod der Eile!

Ende des letzten Jahres habe ich gemerkt, wie ich zu viele Dinge auf einmal auf meinem Schreibtisch hatte. Meine Gedanken waren sprunghaft, ich kam von einem Thema zum anderen, ohne wirklich Fortschritt zu machen. Damals habe ich die Anzahl meiner parallel gelesenen Bücher reduziert. Mein Fokus war es, das Jahresende etwas ruhiger zum Abschluss zu bringen und neue Energie für das neue Jahr zu tanken.
Das hat auch recht gut geklappt. Jedoch hat mich der Januar mit voller Brutalität wieder in den Geschäftigkeits-Sog gezogen. Beruflich und privat kamen einfach zu viele Dinge gleichzeitig zusammen. Und so fand ich mich Ende Januar erschöpft und gleichzeitig unfähig zum Abschalten wieder.
So kann es natürlich nicht weitergehen. Auf der Suche nach Lösungen und Wegen raus aus der Eile, hab ich das Buch The Ruthless Elimination of Hurry (dt. Die rücksichtslose Beseitigung der Eile) von John Mark Comer gelesen. Und ich muss sagen, das war genau das richtige Buch zum richtigen Zeitpunkt. Also ein Geschenk Gottes, sozusagen.

Warum Eile ein Problem darstellt. Comer beginnt sein Buch mit einer Problembeschreibung. Das Schlimme an Stress und Eile sind nicht die fehlende Zeit oder die Gesundheitsrisiken, obwohl natürlich auch diese Auswirkungen bewiesen und auf keinen Fall zu ignorieren sind. Eile ist so gefährlich, weil sie den wichtigsten Bereich des Lebens zerstört: nämlich die Beziehung zu Gott. Corrie ten Boom hat mal gesagt, dass wenn der Teufel uns schon nicht zur Sünde verführen kann, er uns dann gestresst macht. Wenn ich gestresst bin und von einer Sache zur nächsten hetze, bleibt keine Zeit mehr für Gott. In diesem Punkt gleicht die Gottesbeziehung sehr der zu anderen Menschen: sie wächst, indem man Zeit in sie investiert. Verbringt man keine Zeit mit Gott, kann entsprechend auch die Beziehung zu ihm nicht wachsen. Sie stagniert oder noch schlimmer, sie geht sogar ein.
John Mark Comer sieht den Kern des Problems in unserer unreflektierten Übernahme der Werte unserer Gesellschaft. In einer Kultur, die auf Leistung ausgerichtet ist, ist Eile das neue Statussymbol. Wenn wir heute gefragt werden, wie es uns geht, antworten wir mit: „Ganz gut, aber es ist viel los.“ An diesem Punkt habe ich mich erschrocken wiedergefunden. Genau das ist meine Antwort (vermutlich schon über mehrere Jahre hinweg). Durch die technologischen Neuerungen der letzten 200 Jahre sind wir in der Lage, unsere Produktivität ins Unermessliche zu steigern. Früher war das Leben, der Tagesablauf und das Leistungspensum von der Natur bestimmt. Wenn die Sonne aufging, ist man aufgestanden. Ging die Sonne unter, ging man auch zu Bett. Mit dem Aufkommen von elektrischem Strom und der Glühbirne wurde es dann möglich, auch im Dunkeln noch weiterarbeiten zu können. Mitte des 20. Jahrhunderts gingen sogar noch einige Wirtschaftsweisen davon aus, dass wir Ende des vergangenen Jahrhunderts alle nur noch halbtags arbeiten müssten; Produktivitätssteigerung dank neuer Technologien! Ist es da nicht komisch, dass wir heute, trotz der unvorstellbaren technologischen Möglichkeiten, weniger Zeit haben als die Leute vor 50 oder 100 Jahren? Was ist das bloß schiefgegangen?

Der Kampf um unsere Aufmerksamkeit. Die Lösung besteht für John Mark Comer nicht darin, dass wir mehr Zeit brauchen. Denn diese Zeit würden auch wieder nur füllen mit neuen Aktivitäten. Wenn die Geräte, die uns doch eigentlich mehr freie Zeit verschaffen sollen, uns letztendlich die Zeit „stehlen“, dann muss sich etwas an unserem Umgang mit diesen Geräten ändern. Denn mittlerweile sind unsere Computer, Tablets, Smartphones und Social Media-Kanäle nicht mehr das Produkt, das uns das Leben erleichtert. Sondern wir sind das Produkt und die begehrte Ressource ist unsere Aufmerksamkeit. Sie sind so konzipiert, dass wir so viel Zeit wie nur möglich damit verbringen. Und damit sind wir schon wieder bei dem großen Problem von Anfang angelangt. Wir haben zu wenig Zeit, weil wir zu viel Zeit mit Technologie verbringen. Zu wenig Zeit führt zu Eile. Und Eile ist schädlich für die Beziehung zu Gott. Letztendlich geht es um die Frage, wem wir unsere Aufmerksamkeit geben: Gott oder unserem Smartphone. Wir müssen uns bewusst werden, dass wir zu dem werden, dem wir unsere Aufmerksamkeit schenken.
Als Nachfolger von Jesus liegt die Lösung nun darin, dass man besinnt, wie er gelebt hat. Wenn wir seine Schüler oder Auszubildenden sind, dann ist es unsere Aufgabe, das zu tun, was er uns vorgemacht hat. Comer drückt es ganz kurz und treffend aus: „Wenn du das Leben von Jesus erleben willst, dann musst du die Leibensweise von Jesus übernehmen.“ (S. 82) Jesus sagt, wir sollen von ihm lernen, denn sein „Joch ist sanft“ und seine „Last ist leicht“ (Mt 11,30). Und irgendwie hat es Jesus ja hinbekommen, ein unglaublich gefülltes Leben zu führen und dennoch nicht gestresst zu sein. Er wurde ständig von Menschen belagert, die geheilt werden wollten, von ihm lernen wollten, ihn herausfordern wollten und er scheint nie die Nerven zu verlieren. Wie hat er das bloß geschafft?

Vier Übungen für ein „entstresstes“ Leben. Comer greift vier Übungen (oder Routinen) auf, die er im Leben von Jesus sieht und die auch für uns wichtig sind, um ein Leben im Einklang mit Gott zu führen. Denn letztendlich geht es bei allem Entschleunigen und zur Ruhe kommen darum, dass wir näher zu Gott kommen, Zeit mit ihm verbringen, bei ihm auftanken und uns dem Reden und Wirken des Heiligen Geistes zu öffnen, damit er durch uns mit seiner Kraft wirken kann, was aus unserer Kraft nie möglich gewesen wäre.
Ich plane, auf die folgenden vier Übungen in späteren Artikeln näher einzugehen, deshalb will ich sie hier nur kurz vorstellen:
Stille und Einsamkeit
Durch die Evangelien zieht sich wie ein roter Faden die Aussage, dass Jesus die Ruhe suchte und sich zurückzog. Er beginnt seinen Dienst mit 40 Tagen in der Stille und Einsamkeit der Wüste. Wenn viel los war, hat Jesus sich am Ende des Tages (oder am Anfang, ehe die Sonne aufging) zurückgezogen, um Zeit mit seinem Vater zu haben. Wir brauchen genauso regelmäßige Zeiten, in denen wir wirkliche Stille und Einsamkeit haben. Kein Radio oder TV im Hintergrund, kein Smartphone, das immer neue Mitteilungen aufleuchten lässt. Einfach Zeit mit Gott. Ohne Agenda, die abgearbeitet werden muss.
Sabbat
Jesus sagt, dass der Sabbat für den Menschen geschaffen ist und nicht der Mensch für den Sabbat. Gott schenkt uns einen kompletten Tag der Ruhe pro Woche. Gott segnete den Ruhetag. Die Israeliten sollten den Sabbat unbedingt einhalten und ihm Gott widmen. Genauso sollte unser Ruhetag nicht davon geprägt sein, die Dinge aufzuholen, die wir unter der Woche nicht geschafft haben. John Mark Comer gibt eine hilfreiche Richtlinie für die Bewertung von Aktivitäten am Ruhetag: „Ist das Ruhe und Lobpreis?“ Ein Tag nur für Ruhe und Lobpreis klingt in unseren Ohren wahrscheinlich unvorstellbar (für mich jedenfalls), aber als ich es gleich in die Praxis umsetzte, merkte ich, was für eine unglaubliche Kraft in dieser Praxis liegt.
Einfachheit
Wir führen gestresste Leben, um Geld zu verdienen, damit wir uns Dinge leisten können, die wir nicht brauchen, um Leute zu beeindrucken, die wir nicht mögen. Tatsächlich ist viel von unserer Eile unserem komfortablen westlichen Lebensstil geschuldet. Wir sind gestresst, um uns alle möglichen Dinge zu kaufen. Und wenn wir sie haben, sind wir gestresst, weil wir sie warten, reparieren, austauschen usw. müssen. Jesus dagegen sagt uns: „Macht euch keine Sorgen um Essen und Kleidung, denn Gott wird euch versorgen.“ Sei zufrieden mit dem, was du hast und spiele das Spiel von „Immer mehr“ nicht mit. Lebe auf der Erde mit leichtem Gepäck und sammle lieber Schätze im Himmel.
Entschleunigung
Arbeite aktiv daran, ein langsameres und ruhigeres Leben zu führen. Jesus lebte in einem Tempo, das es ihm erlaubte, Hilfsbedürftige um ihn herum zu sehen. Er ließ sich aufhalten. Menschen hatten für ihn Priorität. Comer zählt einige Ideen auf, wie man langsamer leben kann. Meine Favoriten: Mach dein Smartphone zum „Dumbphone“. Lege eine Zeit und ein Zeitlimit für Social Media fest. Sei zehn Minuten vor einem Termin da, ohne Smartphone. Wähle die längste Schlange an der Supermarktkasse.

Wie oben schon gesagt, für mich kam dieses Buch genau zu richtigen Zeit. In den zwei Wochen, in denen ich nun schon versuche, einige Prinzipien umzusetzen, habe ich täglich gemerkt, wie sehr ich schon von Technologie „abhängig“ geworden bin und wie schwer mir wirkliche Ruhe fällt. Ich wünsche mir, dass die Prinzipien aus diesem Buch ein fester Bestandteil meines Lebens (und unseres als Familie) werden, damit wir dadurch Gott wieder näher kommen. Denn so gut diese Übungen an sich auch sind, sie sind nicht das eigentliche Ziel:

Das Ziel ist nicht Stille und Einsamkeit; es geht darum, zu Gott und unserem wahren Selbst zurückzukehren. Es ist nicht Sabbat; es ist ein erholsames, dankbares Leben der Leichtigkeit, Wertschätzung, des Staunens und der Anbetung. Es ist nicht Einfachheit: Es ist Freiheit und Konzentration auf das, was am wichtigsten ist. Es ist nicht einmal Entschleunigung; es bedeutet, präsent zu sein, für Gott, für die Menschen, für den Moment. (S. 245)


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