König Herodes und ich

Und wenn er [Herodes] ihn [Johannes den Täufer] gehört hatte, war er in großer Verlegenheit, und er hörte ihn gern. (Markus 6,20)

Diesen Vers habe ich vor einigen Wochen gelesen. Und diesmal hat er mich ungewöhnlich stark angesprochen. Denn die Erfahrung, die Herodes hier macht, kann ich auf zweierlei Weise nachvollziehen.

Zuerst ist da dieses scheinbare Paradox: Herodes gerät jedes Mal in Verlegenheit, wenn er Johannes dem Täufer zuhört. Johannes trifft jedes Mal die wunden Punkte des Königs; deswegen sitzt er ja auch im Gefängnis, weil er den König offen auf sein Fehlverhalten hingewiesen hat. Anscheinend hört er in Gefangenschaft nicht damit auf. Jedenfalls ist Herodes jedes Mal getroffen, wenn er Johannes hört. Und dennoch hört er ihn gern und kommt immer wieder zu ihm zurück, um noch mehr von ihm zu hören. Diese gleiche Situation kenne ich auch: Ich höre eine Predigt und was der Prediger sagt, trifft einen wunden Punkt in meinem Leben. Ich fühle mich ertappt. Und gleichzeitig weiß ich, dass es genau das ist, was ich brauche. Ich muss das hören, weil es gut für mich ist. Und interessanterweise üben die Prediger und Predigten, die nicht um den heißen Brei herum, sondern Klartext reden, eine besondere Faszination aus. Jedenfalls geht es mir so. Ich höre sie gern. Ich weiß im Voraus schon, dass sie mich schmerzlich treffen und herausfordern werden und dennoch kehre ich immer wieder dahin zurück.

Das ist der erste Punkt, in dem Herodes und ich uns gleichen. Leider scheint die Verlegenheit immer wieder spurlos an dem König vorbeizugehen. Er wird immer wieder angesprochen, es regt sich etwas in seinem Inneren, ein Gedanke oder Gefühl bricht sich Bahn, dass der Täufer doch Recht hat und er, der König, etwas in seinem Leben ändern müsste – und er übergeht es einfach. Bloß gut, dass Johannes im Gefängnis sitzt und da nicht rauskommt. Da kann Herodes, wenn er genug gehört hat oder wenn die Verlegenheit zu groß wird, einfach wieder gehen und den aufkeimenden Drang nach Änderung im Kerker lassen. Und leider gleiche ich Herodes auch in dieser Sache immer wieder. Immer wieder merke ich, wie ich von einer Predigt, einem Buch, einem Podcast angesprochen werde; etwas in mir regt sich, irgendeine Saite in mir wird durch das Gehörte zum Schwingen gebracht, das innere Drängen, ich müsste einer Sache weiter nachgehen, mir mehr Gedanken darüber machen und etwas ändern – und ich klappe das Buch zu, beende den Podcast, gehe aus dem Gottesdienst und alles bleibt, wie es ist. Ich übergehe einfach die Regung in mir und widme mich anderen Dingen.

Vielleicht geht es dir manchmal genauso. Es ist viel leichter Informationen aufzunehmen als sie zu verarbeiten und daraus etwas entstehen zu lassen. Jakobus fordert uns auf: „Seid aber Täter des Wortes und nicht allein Hörer, die sich selbst betrügen!“ (Jakobus 1,22) Ich habe die jahrelang gepflegte Gewohnheit viel zu hören, aber nur wenig davon umzusetzen. Ich wuchs in einem Umfeld auf, in dem das Wissen (die richtige Lehre) einen hohen Stellenwert hatte. Und da das meinem eigenen Naturell entsprach, konzentrierte ich mich sehr auf die Wissensaneignung. Mir war (und ist) es wichtiger, möglichst viel Informationen aufzunehmen als die bereits vorhandenen zu verarbeiten, zu festigen und davon verändert zu werden. Wahrscheinlich liegt es auch daran, dass diese Verarbeitungs- und Anwendungsschritte viel länger dauern, aufwändiger und die Ergebnisse weniger gut messbar sind. Nachdenken und kleine, aber stetige Veränderungen sind nur schwer quantifizierbar. Dagegen kann ich sehr gut meinen Input messen. Wie viele Bücher gelesen, Podcasts gehört, Artikel überflogen wurden und welche Zeit ich dafür benötigt habe. Als Kind meiner Zeit bin ich zu sehr auf Zahlen fixiert und Veränderungen sollen schnell entstehen anstatt langsam wachsen.

Diese Bibelstelle wurde für mich zur erneuten Herausforderung, mehr innezuhalten, wenn ich von Predigten, Büchern usw. angesprochen werde. Ich muss mir neu bewusst machen, dass praktische Veränderung das Ziel von Informationsaufnahme ist. Das muss für mich sogar nicht einmal immer etwas Geistliches sein. Was ist denn zum Beispiel der Sinn von gelesenen Produktivitätsratgebern, wenn ich am Ende des Buches nichts davon für meinen Arbeitsablauf umsetze? Jakobus sagt treffenderweise über solche Menschen: Sie betrügen sich selbst. Sie glauben voranzukommen, treten aber doch nur auf der Stelle. Sie haben vielleicht mehr Wissen, aber dieses Wissen ist wertlos, wenn es nicht praktisch umgesetzt wird. Und nochmal schwerwiegender ist das natürlich im geistlichen Bereich. Was nützen mir Bücher über das Gebet, wenn ich am Ende nicht mehr oder tiefgründiger bete? Was nützen viele herausfordernde Predigten, wenn ich nicht versuche, etwas davon mit Gottes Hilfe praktisch umzusetzen? Mein Wunsch ist, dass ich offener werde für Gottes Reden und „Unterbrechungen“ in meinem Leben. Dass ich mir die Zeit nehme innezuhalten, wenn er mich in „Verlegenheit“ bringt. Dass ich dem Grund dafür nachgehe. Das bedeutet wahrscheinlich, am Ende des Jahres weniger Bücher gelesen, nicht jeden interessanten Podcast gehört, weniger Filme geschaut und weniger am Smartphone gesessen zu haben. Aber wenn ich wirklich weise und Gott ähnlicher werden will (und nicht bloß mehr wissen will), dann habe ich keine andere Wahl.


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