Not lehrt Beten

Hinweis: Dieser Artikel besteht aus meinen losen Gedanken. Sie sind der Versuch, den Inhalt der letzten Predigt mit schon vorhandenen Gedanken zum Thema Gebet zu verknüpfen.

Am vergangenen Sonntag hat Marko Schubert in unserer Gemeinde eine Predigt mit dem Titel „Not lehrt Beten“ gehalten. Es ging um Jona 2 und wie Jona erst wortwörtlich ganz tief sinken musste, bevor er anfing nach Gott zu fragen und zu ihm zu beten. Diese Predigt hat nicht nur mich sehr stark bewegt und ich empfehle jedem, sie sich auf alle Fälle einmal anzuhören (YouTube, Podcast). Mir kamen dazu einige Gedanken, die ich zur Reflexion aufgeschrieben habe und hier teilen will.

Warum beten wir nicht? Der hauptsächliche Grund ist Stolz. Wir beten nicht, weil wir glauben, uns aus eigener Kraft helfen zu können. Das hat genau einen wunden Punkt bei mir getroffen. Denn Stolz war wohl schon immer mein größtes Problem gewesen. Ich vertraue immer wieder zu sehr auf meine eigenen Fähigkeiten. Und deshalb brauche ich Gott eigentlich nicht. Denn ich komm ja auch allein gut klar. Und es ist ja klar: wenn ich gut allein klarkomme und Gott nicht zwingend brauche, dann werde ich immer weniger beten. Timothy Keller zitiert in seinem Buch übers Beten Ole Hallesby, der schrieb:

Hilflosigkeit ist fraglos das erste und sicherste Kennzeichen eines betenden Herzens. Soviel ich verstehe, ist das Gebet eigentlich für die Hilflosen eingerichtet … Beten und Hilflosigkeit gehören unlöslich zusammen. Es sind sicher nur die Hilflosen, die beten können.1Ole Hallesby, Vom Beten, S. 10; zitiert in Timothy Keller, Beten, S. 141.

Diese Hilflosigkeit habe ich von Natur aus nicht. Bzw. stemme ich mich immer wieder dagegen. Deshalb ist es wahrscheinlich sehr gut, dass Gott mir immer wieder (und in den letzten Monaten besonders) meine eigene Unfähigkeit und Unzulänglichkeit vor Augen führt: mein wiederholtes Versagen im Kampf gegen Sünde im eigenen Leben; wie ich oft nicht der Ehemann bin, der ich sein sollte; mein Kämpfen mit dem Festlegen der richtigen Prioritäten im Leben und dem Einteilen meiner Zeit usw. Gott bearbeitet immer wieder meinen Stolz, indem er mir zeigt, dass ich doch gar nicht so toll bin, wie ich mich gern sehe. Er bringt mich regelmäßig an den Punkt, an dem ich sagen muss: „Ich bekomme es allein nicht hin.“ Beten ist ein Akt der Demut. Ein sich eingestehen, dass man allein ein Leben nach Gottes Vorstellungen nicht schafft. Ein sich auf Gott werfen, dem nichts unmöglich ist, dem alle Ressourcen zur Verfügung stehen und der als liebender Vater mir gern gibt, wenn ich ihn bitte.

Gott benutzt unter anderem persönliche Not, um unseren Stolz zu brechen und uns zum Beten zu bewegen. Das klingt nicht sonderlich liebevoll, scheint aber das letzte Mittel zu sein, uns zur Umkehr zu bewegen, wenn alle anderen sanfteren Maßnahmen fruchtlos geblieben sind. Marko sagte, das Schlimmste wäre ein glückliches und gutes Leben, das aber am eigentlichen Ziel vorbeigeht. Er zitierte C.S. Lewis, der schrieb:

Gott flüstert in unseren Freuden, er spricht in unserem Gewissen; in unseren Schmerzen aber ruft er laut. Sie sind Sein Megaphon, eine taube Welt aufzuwecken.2C.S. Lewis, Über den Schmerz, S. 93.

Die letzten Jahre und Wochen haben uns neu aufgeschreckt. Denn wir (unsere Gesellschaft, aber auch wir westlichen Christen) haben uns in unserem Wohlstand und Frieden gut eingerichtet. Nun ist Wohlstand und Frieden nichts Schlimmes und wir sollten Gott dafür auch dankbar sein, dass er uns damit beschenkt hat. Jedoch sind wir der Gefahr erlegen, dadurch träge zu werden, selbstzufrieden und selbstsicher. Wie oben schon gesagt, wir brauchen Gott nicht mehr, weil wir ja auch allein sehr gut zurechtkommen. Deshalb bringt Gott manchmal Leid und Not in unser Leben; er nimmt uns etwas Gutes weg, damit wir aufwachen und uns wieder auf ihn besinnen. „Ich erkenne erst dann, dass Jesus alles ist, was ich brauche, wenn Jesus alles ist, was ich habe.“ Diesen Satz kenne ich gut und habe ihn auch schon selbst öfters in Seminaren über den Umgang mit Leid gesagt. Aber gestern hat er mich selbst neu getroffen.

Und damit zusammenhängend ist mir noch ein weiterer Aspekt in den Sinn gekommen, warum wir so wenig beten. Wir beten nicht, weil wir nicht erkennen, dass wir uns mitten im Krieg befinden. Durch den Krieg in der Ukraine müssen wir uns wieder mehr mit diesen ungeliebten Gedanken befassen und berechtigterweise schauen grad viele Menschen sorgenvoll in die Zukunft und fragen sich, was denn demnächst noch geschehen wird und wie lange wir in Deutschland noch Frieden haben werden. So wie sich unsere Gesellschaft an Frieden gewöhnt hat, haben auch wir Christen vergessen (oder besser: ignoriert?), dass wir uns eigentlich im Krieg befinden. Paulus schreibt in Epheser 6,12:

Denn unser Kampf richtet sich nicht gegen Wesen von Fleisch und Blut, sondern gegen die Mächte und Gewalten der Finsternis, die über die Erde herrschen, gegen das Heer der Geister in der unsichtbaren Welt, die hinter allem Bösen stehen.

Wir stehen konstant in einem kosmischen und geistlichen Kampf. Und weil uns diese Tatsache nicht bewusst ist, beten wir nicht. Wenn wir uns bewusst sind, dass wir die Frontsoldaten bei Gottes Angriff auf das Reich der Finsternis sind und dass unsere Gegner unsichtbare böse Mächte sind, dann sehen wir deutlich, dass wir aus eigener Kraft niemals diesen Kampf gewinnen können. John Piper bringt das gut zum Ausdruck:

Das Gebet dient in erster Linie als Frontfunkgerät für die Mission der Gemeinde, die gegen die Mächte der Finsternis und des Unglaubens vorrückt. Es ist nicht weiter erstaunlich, dass unser Gebet nicht richtig „funktioniert“, wenn wir versuchen, daraus eine private Gegensprechanlage zu machen, mit der wir nach oben telefonieren können, um ein paar weitere Annehmlichkeiten fürs Wohnzimmer zu bestellen. Gott hat uns das Gebet als Frontfunkgerät gegeben, damit wir bei unserem Stützpunkt unseren Bedarf anfordern können, während das Reich Christi in die Welt vorrückt.3John Piper, Weltbewegend, S. 53.

Die Bibel macht deutlich, welche unglaubliche Kraft und Verheißungen hinter dem Gebet stehen. Das sollte uns neu zum intensiven Beten ermutigen. Ich wünsche mir, dass es das bei mir tut. Dass das Angesprochensein nicht vom Alltag ertränkt wird und ich angesichts der vor mir stehenden Herausforderungen doch wieder nur auf meine eigene Kraft und Fähigkeiten vertraue. Und dass ich den Blick hebe und mehr sehe als nur meine Probleme, um die sich gekümmert werden muss. Dass ich zuerst Gottes Anliegen mit dieser Welt sehe und dadurch beginne, die wirklich großen Gebete zu beten; die, von denen ich von vornherein weiß, dass ich da aus eigener Kraft nichts erreichen kann. Zum Schluss ein Zitat von Timothy Keller, das mich jedes Mal zum Beten motiviert, wenn ich eigentlich keine Lust dazu habe (Hervorhebung von mir):

Das Gebet ist die einzige Tür zu echter Selbsterkenntnis. Es ist auch der hauptsächliche Weg zu tiefgreifenden Veränderungen in unserem Leben – zur Neuordnung unserer Prioritäten. Durch das Gebet gibt Gott uns so viele der unvorstellbaren Schätze, die er für uns bereithält, ja das Gebet ermöglicht es ihm, viele unserer tiefsten Sehnsüchte zu erfüllen. Wenn wir beten, lernen wir Gott kennen, lernen wir es, ihn endlich als Gott zu behandeln. Das Gebet ist der Schlüssel zu allem, was wir in unserem Leben tun müssen und sein müssen.
Wir müssen Beten lernen. Wir haben keine Wahl.4Timothy Keller, Beten, S. 26.

Fußnoten

  • 1
    Ole Hallesby, Vom Beten, S. 10; zitiert in Timothy Keller, Beten, S. 141.
  • 2
    C.S. Lewis, Über den Schmerz, S. 93.
  • 3
    John Piper, Weltbewegend, S. 53.
  • 4
    Timothy Keller, Beten, S. 26.

Wenn du per E-Mail über neue Beiträge benachrichtigt werden willst, dann kannst du deine E-Mail-Adresse ganz unten auf der Seite in das Formular eintragen.