Warum fallen wir?

Neulich haben meine Frau und ich uns mal wieder die Batman-Triologie von Christopher Nolan angeschaut. Ein Satz begleitet einen dabei von den ersten Minuten an bis in den dritten Film. Es ist eine Art Lebensmotto von Bruce Wayne. Als er als Kind in einen alten Brunnenschacht fällt und von seinem Vater wieder herausgeholt wird, sagt dieser zu ihn: „Warum fallen wir, Bruce? Damit wir lernen können wieder aufzustehen.“ Nach dem Tod seiner Eltern und mittlerweile als erwachsener Mann wird Bruce immer wieder von seinem Butler Alfred an diesen Satz erinnert. Und jedes Mal hat es (früher oder später) zur Folge, dass Bruce sich aufrappelt, in seinen Superhelden-Anzug schlüpft, das Batmobil startet und gegen das Unrecht in Gotham vorgeht.
Warum funktioniert dieses Motto bei Bruce Wayne jedes Mal? Ich glaube, das liegt zum großen Teil daran, dass es impliziert, dass der „gefallene“ Zustand nicht normal ist. Der eigentliche Bruce ist der, der wieder aufsteht. Der, der nicht liegenbleibt. Der, der kämpft. Seine Identität ist nicht „ein Gefallener“, sondern „ein Stehender“. Würde Bruce sich selbst einen Versager sehen, als einen, der halt auf dem Boden liegt, dann verliert das Motto größtenteils seinen motivierenden Charakter. Denn dann ist sein Zustand nicht „unnatürlich“, den es wieder zu beheben gilt (nämlich indem er aufsteht), sondern dann ist der gefallene Zustand seine Natur. (Und tatsächlich ist Bruce im dritten Film an einem Punkt angekommen, an dem er sich tatsächlich als gefallenen und zerbrochenen Mann sieht und sich dementsprechend nicht mehr aufrappeln kann.)

Unsere Identität bestimmt, wie wir uns verhalten. Wer ich bin, entscheidet was ich tue. Deshalb ist es so wichtig zu wissen, wer man ist. Neil T. Anderson schreibt in seinem Buch Neues Leben, Neue Identität von der Identität eines Christen. Davon hängt alles ab. Ein Leben als Christ, in dem man Sieg über die Sünde erlebt, kontinuierliche Heiligung erfährt und sowohl freudig für Gott arbeitet als auch in ihm ruht, ist nur möglich, wenn man tief verstanden hat, was es bedeutet ein Kind Gottes zu sein. Wenn du bekehrt bist, dann bist du ein Heiliger/eine Heilige. Wenn wir uns jedoch nicht als Kinder Gottes sehen und von ihm bedingungslos angenommen und geliebt wissen, dann werden wir immer wieder versuchen, Gott aus eigener Kraft zufriedenzustellen. Und das ist nicht nur praktisch unmöglich; das ständige Scheitern frustriert auch nur. Denn die grausame Realität ist, dass wir – solange wir noch auf der Erde leben – den Kampf gegen die Sünde und Versuchung nie umfassend gewinnen werden. Wie Bruce Wayne fallen auch wir immer wieder. Hoffentlich im Lauf des Lebens immer weniger und weniger schlimm, aber es wäre falsch anzunehmen, dass (selbst gewisse) Sünden irgendwann kein Problem mehr darstellen könnten. Die Frage ist, ob wir immer wieder aufstehen oder nicht.

Wenn wir uns unserer Identität in Christus nicht sicher sind, dann wird die Realität von Sünde in unserem Leben uns mit der Zeit zermürben. Dann gehen einem Sätze durch den Kopf wie „Ich hab doch eh gewusst, dass ich es nicht schaffe.“, „Ich bin so ein Versager.“, „Gott ist bestimmt sauer auf mich“ und so weiter. Das, was uns dann ausmacht, wovon wir uns bestimmen lassen, ist unsere Identität als Sünder und Versager. Und wenn wir uns als Versager sehen, dann werden wir uns wie einer verhalten. Das heißt, dann werden wir nicht wieder aufstehen. Dann bleiben wir am Boden liegen. Aber glücklicherweise ist unsere Identität nicht mehr die eines Versagers und Sünders! Nochmal: Christen sind Heilige! Du bist heilig! Das, was dich ausmacht und definiert, sind nicht deine Fehler und Sünden. Sondern stattdessen ist es die perfekte Gerechtigkeit von Jesus, sein heiliges und sündloses Leben, das dir angerechnet wird als hättest du es selbst gelebt. Wenn Gott dich nun ansieht, dann sieht er nicht die sündige Person, die du vor deiner Bekehrung warst. Du bist „in Christus“; wenn Gott dich sieht, dann sieht er Christi Gerechtigkeit.

Das bedeutet auch, dass Gottes Liebe unabhängig von meinem aktuellen Verhalten ist. Diese Wahrheit hatte es sehr schwer, zu mir durchzudringen. Denn den Großteil meines Lebens war in meinem Kopf Gottes Liebe an meinen Gehorsam geknüpft. Wenn ich ein „guter Christ“ bin, nicht sündige, meine tägliche Stille Zeit mache, dann ist Gott zufrieden mit mir und liebt mich. Aber wenn ich sündige, der Versuchung nachgebe, Gott vernachlässige, dann ist er enttäuscht von mir. Dann brauch ich auch nicht mit seiner Liebe und Hilfe rechnen. Dementsprechend hab ich mich auch immer wieder vor ihm versteckt. Für mich war Gott viel mehr ein strafender Richter als ein liebender Vater. Es hat lange gedauert zu begreifen, dass es für mich als Kind Gottes nun keine Verurteilung mehr gibt (Röm 8,1) und dass nichts mich von Gottes Liebe trennen kann (Röm 8,31-39). Andersons Worte über die Liebe des Vaters haben mich tief getroffen und die theoretische Wahrheit wirklich ins Herz sinken lassen:

Wenn Ihr Glaubensleben in Ordnung ist, liebt Sie Gott. Wenn Ihr Glaubensleben schwach ausgeprägt ist, liebt Sie Gott. Wenn Sie einen Augenblick stark und den andern Augenblick schwach sind, wenn Sie einen Tag als Gotteskind leben und den andern nicht, liebt Gott Sie trotzdem. Gottes Liebe zu uns ist die große, ewige Konstante inmitten aller Unbeständigkeiten in unserem täglichen Wandel. (S. 112)

Das Bewusstsein dieser göttlichen Liebe ist es, was mein Verhalten wirklich verändert. Es lässt mich wieder aufstehen ohne in Selbstmitleid zu baden, wenn ich gefallen bin. Es macht mich zerknirscht über meine Sünde, aber es zerdrückt mich nicht. Ich kann mit meiner Schuld zu Gott kommen und sie ihm bekennen. Er weiß eh, was ich getan habe. Und weil ich weiß, dass ich sein Kind bin, will ich unbedingt das lassen, was ihm missfällt. Schon komisch: das Wissen um die bedingungslose Liebe und Annahme Gottes hat mehr im Kampf gegen die Sünde geholfen als die Androhung von Strafe. Denn Gottes Annahme ändert meine Identität. Sie macht mich zu einem neuen Menschen. Diese Wahrheit vergesse ich im Alltag immer wieder viel zu schnell. Deshalb hat meine Frau uns beiden eine große Erinnerung in die Küche geschrieben:


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