Was tun, wenn Leiter fallen?

Leider hört man immer wieder vom spektakulären Scheitern bekannter christlicher Führungspersonen. Leute, die jahre- und sogar jahrzehntelang einen fruchtbaren und segenbringenden Dienst getan haben. Zu denen unzählige Menschen aufschauen und ihnen ehrfürchtig folgen. Und dann kommt plötzlich eine erschütternde Wahrheit über sie ans Licht: sexuelles Fehlverhalten, Veruntreuung von Geldern, Machtmissbrauch, sie wenden sich vom Glauben ab usw. Und das ist höchstwahrscheinlich nicht nur auf bekannte Menschen beschränkt, sondern das betrifft auch (nur ohne das große mediale Interesse) Leiter von lokalen Gemeinden, die außerhalb ihres Ortes kaum jemand kennt.

In solchen Situationen herrscht verständlicherweise extremes Gefühlschaos. Auf der einen Seite ist man zutiefst erschüttert über diese bisher total unbekannte Seite eines geistlichen Leiters und Vorbilds. Je nachdem, welchen Einfluss diese Person auf den eigenen persönlichen Glauben hatte, zweifelt man vielleicht daran, ob man nicht einfach nur einem riesigen Schwindel aufgesessen ist. Ist der eigene Glaube überhaupt echt? In diese Verwirrung und Trauer mischt sich nicht selten auch Wut. Wut auf die gefallene Person, auf die man so große Stücke gehalten hat. Vielleicht auch Wut auf Gott, der das zugelassen hat. Eventuell Wut auf Menschen, Gemeinden, Organisationen im nahen Umfeld der Person, die etwas dagegen hätten unternehmen müssen und anscheinend nichts getan haben. Und vielleicht kommt es sogar so weit, dass man drauf und dran ist, den eigenen Glauben aufzugeben, weil man mit so einem Gott, solchen Gemeinden, solchen Menschen nichts zu tun haben will.

Wie können wir gut mit solchen höchst bedauerlichen Situationen umgehen? Wie können wir Menschen helfen, die vom Fehlverhalten einflussreicher Personen vor den Kopf gestoßen sind, an Gott festzuhalten? Wie können wir selbst mit unseren Gedanken und Fragen umgehen? Im Folgenden will ich fünf Dinge nennen, die mir wichtig geworden sind.

Das Schlechte nicht ignorieren

Wenn ein einflussreicher Mensch einen großen Fehler macht, dann besteht die Gefahr, sein Fehlverhalten zu relativieren, zu entschuldigen oder zu ignorieren. Vor allem, wenn wir selbst dieser Person positiv gegenüberstehen. Der Grund dafür ist wahrscheinlich ein instinktiver Beschützermechanismus. Aber genau das ist falsch! Sünde bleibt Sünde und muss beim Namen genannt werden! Wenn wir sie ignorieren oder herunterspielen, dann verhalten wir uns in mehrerer Hinsicht lieblos.
Wir sind lieblos gegenüber der Person, die gesündigt hat. Denn wir geben ihr damit das Gefühl, dass sie auch in Zukunft weiter mit ihrem Verhalten durchkommt. Wir bestärken sie so indirekt in einem unheiligen und Gott verhassten Lebensstil! Wir bestärken sie auf ihrem Weg hin zum Zorn und Gericht Gottes. Natürlich ist es schmerzhaft die Schuld eines Anderen offen anzusprechen, aber nur so geben wir der Person die Chance zur Buße und Umkehr. Mir fällt dazu Paulus ein, der öffentlich den großen Apostel Petrus zurechtweist, weil dieser nicht entsprechend des Evangeliums lebt (Gal 2,11-14).

Aber wir verhalten uns vor allem unglaublich lieblos gegenüber der zu Schaden gekommenen Person(en). Wir drücken mit unserem Schweigen oder Vertuschen aus, dass es ja gar nicht so schlimm ist, was sie erlebt und erduldet haben. Wir spielen damit ihre Verletzung herunter und nehmen sie nicht ernst. Und das ist für die Opfer doppelt erniedrigend.
Indem wir Schuld benennen und nicht großzügig übergehen, bleiben wir auch ehrlich und halten das Evangelium hoch. Von jeder anderen weltlichen Institution würden wir genauso erwarten, dass Schuld aufgedeckt und bestraft wird. Warum nicht also auch in unseren eigenen Reihen? Und außerdem zeigen wir damit, dass selbst große und bekannte und beliebte Persönlichkeiten auch nur Menschen sind; Sünder, die genauso auf Gottes Gnade angewiesen sind wie der Rest von uns.

Mit den Opfern trauern

Bei allem Fingerzeigen auf den Täter, die Person, die Unrecht getan hat, kann es leider schnell geschehen, dass die Opfer oder Geschädigten aus dem Blick verloren werden. Jedoch sind gerade sie auf Hilfe und Annahme angewiesen. Ich bin kein Traumaexperte und auch kein Seelsorger; da gibt es Leute, die viele bessere Gedanken beisteuern können. Aber wir können damit beginnen, Punkt 1 zu praktizieren. In Situationen, in denen Menschen von Christen enttäuscht und (noch schlimmer) tief verletzt wurden, kann die Masse der Christen zeigen, dass das Evangelium dadurch nicht unglaubwürdig geworden ist.

Wir können für die Opfer da sein, Anteil nehmen, mit ihnen trauern. Da geht es zuerst gar nicht so sehr darum, Auswege und nächste Schritte zu zeigen. Das sollten die Leute übernehmen, die sich damit wirklich auskennen und damit nicht noch mehr Schaden anrichten. Wir anderen Christen können uns darauf beschränken da zu sein. Den betroffenen Personen zeigen, dass sie nicht vergessen sind. Für sie und mit ihnen beten. Paulus fordert uns auf, dass wir mit den Weinenden weinen sollen (Röm 12,15)! Es geht nicht um stoisches Ertragen, die Sache herunterschlucken und einfach weitermachen.

Gutes anerkennen

Auch wenn ein geistlicher Leiter versagt hat und gefallen ist, so wird er doch während seiner Leiterschaft viel Gutes für die Menschen unter ihm getan haben. Christen werden von seiner Arbeit profitiert haben und durch ihn gewachsen sein. Wenn man zu diesen Leuten gehört, dann kann man Gott für dieses Wirken durch die Person danken. Wenn wir ernstnehmen, dass alles Gute von Gott kommt (Jak 1,17), dann macht das Versagen des Leiters das Gute, das Gott durch ihn in mir bewirkt hat, nicht zunichte.

Ein Beispiel von mir: Als die sexuellen Übergriffe von Ravi Zacharias nach seinem Tod aufgedeckt wurden, war ich wirklich geschockt. Ich hatte große Stücke auf ihn gehalten. Ich bewunderte seine Gelehrtheit, sein Wissen, sein analytisches Denken, wie er mit Witz und Scharfsinn die Wahrheit des christlichen Glaubens verteidigte und die Unwahrheit anderer Weltanschauungen aufdeckte. Er war eine der prägenden Figuren als ich begann, mich mit Apologetik zu befassen. Er entfachte in mir das Feuer, nach Gründen für meinen Glauben zu suchen und diese zu vertreten. Das alles wird durch sein Fehlverhalten nicht rückgängig gemacht. Ich bin Gott dankbar, dass ich durch die Texte und Videos von Ravi Zacharias meinen Glauben hinterfragen und auf ein besseres Fundament stellen konnte. Zwar werde ich vorsichtig sein, welche Person ich auf seine Bücher hinweisen werde. Aber für den Mehrwert, den sie mir gebracht haben, bleibe ich dankbar.

Vertrauen auf Jesus setzen

Jeder Mensch ist sündig. Jeder Leiter (mag er noch so geistlich und gestanden sein) ist unperfekt und muss gegen die Sünde kämpfen. Jeder Leiter sündigt. Auf uns allein gestellt kann niemand garantieren, ob wir nicht im nächsten Augenblick etwas unglaublich Dummes tun, das uns von unserem Dienst disqualifiziert. Wenn wir unsere Hoffnung auf Menschen setzen, werden wir zwangsläufig früher oder später enttäuscht. Ich glaube, wir haben die ungesunde Tendenz uns zu sehr an andere Menschen zu hängen und eher ihnen nachzufolgen anstatt Jesus. Deshalb werden wir dann auch von ihrem Fall so umgeworfen.

Stattdessen sollen wir unser Vertrauen allein auf Jesus setzen. Nur er ist der Leiter, der uns nie enttäuschen wird. Er ist das einzig wirklich tragfähige Fundament unseres Glaubens. Wenn wir ihm nachfolgen, dann gibt es uns die nötige Sicherheit, wenn menschliche Vorbilder versagen. Es wird uns zwar immer noch treffen, aber nicht komplett aus der Bahn werfen.

Eigene Heiligung priorisieren

Letztendlich sollte das Versagen geistlicher Leiter uns selbst innehalten lassen. Wenn scheinbar gestandene und vorbildliche Menschen spektakulär fallen können, dann können wir das auch. Wie schon gesagt, ich kann nicht dafür garantieren, dass ich nicht früher oder später selbst etwas unglaublich Dummes anstelle. Ich kenne die Abgründe meiner Seele und kann mir sehr gut vorstellen, wozu ich alles fähig bin. Und ich weiß auch, dass ich mit reiner Disziplin und Selbstbeherrschung nicht sehr weit komme. Was ich und was jeder von uns braucht, ist die ständige Nähe zu Gott, das konstante Streben nach einem Leben, das Christus immer ähnlicher wird.

Wir werden nicht ohne Grund in der Bibel aufgefordert unseren Glauben zu überprüfen (2Kor 13,5; Gal 6,4). Es passiert viel zu schnell, dass sich die Routine in unserem Glauben einschleicht und wir im „geistlichen Autopilot“ unterwegs sind. Und dann gar nicht mehr so wachsam sind bezüglich der Sünde und Versuchung. Deshalb werden wir immer wieder herausgefordert, uns nach der Heiligung auszustrecken, Gott zu suchen, alles zu prüfen, uns um das Gute zu bemühen, unsere Gedanken von Gott verändern zu lassen, den Lauf mit Ausdauer zu laufen usw.
Der einzige, der uns wirklich vor Sünde bewahren kann, ist Jesus. Je näher wir an ihm dran sind, desto sicherer sind wir. Er ist unsere Hoffnung und alles, was wir brauchen.

Wenn geistliche Leiter fallen, dann wird das immer Trauer, Verwirrung und Chaos hinterlassen. Aber gerade in diesen dunklen Momenten können wir das Licht des Evangeliums am hellsten erstrahlen lassen. Ich wünsche mir sehr, dass uns das gelingt.
Abschließen will ich mit einigen Zeilen aus einem Lied, das mir beim Schreiben immer wieder in den Sinn kam. Das soll auch mein Gebet sein.

Herr, halte mich nah bei dir jeden Tag,
dass ich nicht fallen und abirren mag.
Wenn ich in Not oder Anfechtung bin,
hilf, dass aus allem ich Gutes gewinn!

Gib mir in Schwachheit die Kraft, treu zu sein,
in allen Zweifeln, den Glauben, der rein.
Schenk mir dein Licht, Herr, wo mein Weg verkehrt,
und selbst im Dunkel ein Lied, das dich ehrt!

Herr, mach aus mir ein Gefäß, wie du willst,
lass alle sehen, dass du mich erfüllst!
Lehr mich zu lieben, dass jeder dich sieht!
Jesus, mein Herr, dies ist mein Gebet!


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