Wozu Glaube, wenn es Wissenschaft gibt?

„Glaubst du noch oder weißt du schon?“ So würden wahrscheinlich viele Menschen das Verhältnis von Glaube und Wissenschaft beschreiben. Sie erkennen die Rolle von Religion und Glauben zur Erklärung der Welt in der Vergangenheit an. Aber jetzt ist die Menschheit schon weiter. Jetzt haben wir die Wissenschaft mit ihrer empirischen Forschung. Nun müssen wir keine Glaubensannahmen mehr über die Welt treffen, sondern wir können durch Forschung und Experimente zu gesicherten Aussagen gelangen. Durch die Wissenschaft kommen wir der Lösung des Geheimnisses immer näher, „was die Welt im Innersten zusammenhält.“ Da ist es doch logisch, dass wir Religion und Glauben nicht mehr brauchen. Und wer dennoch weiter daran festhält, der ist aus der Zeit gefallen; er setzt auf überholte und ungenaue Annahmen, anstatt die aktuellen wissenschaftlichen Fakten anzunehmen.

John Lennox bewegt sich in beiden Welten: Zum einen ist er überzeugter Christ und zum anderen auch ein renommierter Wissenschaftler (er lehrte mehrere Jahrzehnte lang Mathematik an der University of Wales in Cardiff und an der University of Oxford). Aus diesem Grund ist ihm die beschriebene Spannung gut bekannt. Er schreibt, dass viele seiner Kollegen nicht nachvollziehen können, wie er denn Wissenschaftler sein und dennoch an seinem Glauben festhalten kann. Ihrer Meinung nach müsste er sich doch für etwas entscheiden, denn beides steht für sie im Widerspruch zueinander. Aus diesem Grund hat Lennox das Buch Wozu Glaube, wenn es Wissenschaft gibt? geschrieben. Darin setzt er sich mit dem Verhältnis der beiden Bereiche zueinander und dem anscheinend bestehenden Konflikt auseinander.

In den ersten vier Kapiteln beschäftigt Lennox sich explizit mit dem Konflikt zwischen Glauben und Wissenschaft. Sehr schnell macht er deutlich, dass das eigentliche Problem nicht zwischen diesen beiden Bereichen existiert. Denn wenn sie sich widersprechen und ausschließen würden, dann dürfte es keine christlichen (oder anders gläubigen) Wissenschaftler geben. Das aber ist nicht der Fall (Lennox selbst ist ein Beispiel dafür)! Der Konflikt besteht also nicht zwischen christlichem Glaube und Wissenschaft, sondern zwischen der christlichen und der naturalistischen Weltanschauung. Sowohl Christen als auch Atheisten können hervorragende Wissenschaftler sein; sie gehen nur mit einem grundlegend anderem Verständnis über die Welt an ihre Arbeit. Für einen atheistischen Forscher ist die materielle Welt alles, was es gibt. Die Naturgesetze, denen alles folgt und auf deren Basis er überhaupt Wissenschaft betreiben kann, sind einfach da. Der christliche Wissenschaftler hingegen geht davon aus, dass hinter diesem allem ein intelligenter, persönlicher, handelnder Schöpfergott steht. Er forscht, weil er davon ausgeht, dass ein rationaler Gott diese Welt erschaffen hat und wir als Menschen die Möglichkeit haben, durch die Wissenschaft bis zu einem gewissen Punkt Gottes Gedanken nachzudenken. Deshalb gibt es keinen Widerspruch zwischen vielen wissenschaftlichen und christlichen Erklärungen der Welt (nicht allen!). Denn Wissenschaft und Glaube sind zwei unterschiedliche Kategorien. So können wir, „wenn wir den Motor eines Autos erklären wollen, über die Physik eines Verbrennungsmotors reden oder über Henry Ford sprechen. Beides sind rationale Erklärungen. Und beide sind notwendig, wenn wir uns eine vollständige Erklärung wünschen.“ (S. 45)

Lennox räumt mit zwei Mythen auf: Erstens, dass Religion Glauben benötigt, die Wissenschaft aber nicht. Und zweitens, dass die Wissenschaft auf Vernunft basiert, der christliche Glaube aber nicht. Denn Naturwissenschaftler müssen glauben, dass die Welt und das Universum verstandesmäßig erforschbar ist! Diese Annahme selbst kann nicht wissenschaftlich bewiesen werden. Außerdem müssen sie glauben, dass ihre Sinneswahrnehmungen wahr sind und ihre Denkprozesse auf das Finden von Wahrheit ausgelegt sind. Und andererseits fordert der christliche Glaube nicht blindes und irrationales Vertrauen. Gott hat uns einen Verstand gegeben und er erwartet, dass wir ihn benutzen. Das größte Gebot heißt schließlich, wir sollen Gott mit „ganzem Herzen, ganzer Seele, ganzem Verstand und ganzer Kraft lieben“ (Markus 12,30)! Lennox schreibt, dass Gott den Menschen selbst zum Erforschen der Erde, zur Wissenschaft, aufruft. Die Schreiber der Bibel setzen voraus, dass ihre Leser ihre Vernunft verwenden, um den Indizien zu folgen und so selbst begründete Entscheidungen für oder gegen den Glauben treffen zu können.

In den Kapiteln 5–8 geht Lennox dann auf verschiedene wissenschaftliche Einwände gegen den christlichen Glauben ein. Er befasst sich mit den Fragen, ob man die Bibel in einer wissenschaftlich geprägten Welt überhaupt ernst nehmen kann, ob Wunder möglich sind, ob man der Bibel vertrauen kann und ob die Auferstehung tatsächlich stattgefunden hat. In allen Fällen zeigt er, dass diese Einwände zwar betrachtet werden müssen, aber letztlich doch sehr gut beantwortet werden können. Zum Beispiel sagt er über das Problem der Wunder, dass die Menschen damals weniger naiv waren als wir oft annehmen. Für sie war nicht gleich alles ein Wunder, für das sie keine zufriedenstellende Erklärung hatten. Außerdem widerlegt er die Meinung, dass die Naturgesetze Wunder unmöglich machen. Denn diese beschreiben nur, was normalerweise passiert, wenn nicht von außen interveniert wird. Wenn man aber von einem allmächtigen Schöpfergott ausgeht, der auch die Naturgesetze geschaffen hat, dann sind Wunder nicht mehr im Rahmen des Unmöglichen. Sie sind einfach nur nicht mit naturwissenschaftlichen Methoden erforschbar.

In den beiden abschließenden Kapiteln entfernt Lennox sich dann etwas vom Thema Wissenschaft und kommt auf die persönliche Dimension des Glaubens zu sprechen. Er erklärt das Evangelium: Was der christliche Glaube sagt, was mit der Welt nicht stimmt und wie Gott dieses Problem gelöst hat. Er macht den Unterschied zu den anderen Religionen deutlich und fordert den Leser zu einer persönlichen Entscheidung auf. Dabei schlägt er wieder den Bogen zur Wissenschaft: Er fordert zu einem Experiment auf. Er fordert heraus, vom Betrachten aus der Ferne zum persönlichen Testen des Glaubens zu kommen und selbst zu überprüfen, ob man Jesus Christus tatsächlich vertrauen kann oder nicht.

Damit ist dieses Buch auch sehr gut zum Weitergeben und Verschenken an Skeptiker geeignet. Aber auch für jeden Christen ist es geeignet, der einen Einstieg in die Frage sucht, wie Glauben und Wissenschaft zusammenpassen. Es beschäftigt sich mit einem häufigen Einwand gegen den christlichen Glauben, bleibt dabei aber nicht nur theoretisch, sondern erklärt dem Leser das Evangelium und fordert ihn zu einer Reaktion heraus. Der überschaubare Umfang und der verständliche Schreibstil zeichnen dieses Buch aus. Lennox ist ein sehr guter Autor, der mit einfachen Worten komplexe Zusammenhänge erklären kann. Außerdem zitiert er überaus viele andere Wissenschaftler; er lässt beide Seiten ausführlich zu Wort kommen und legt mit Verstand und Humor die Widersprüche atheistischer Forscher offen.


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